Alan Greenspan Superstar

So undurchsichtig seine einzelnen Statements sind, so klar ist seine politische Orientierung: rechts

VON NICOLA LIEBERT

Man möchte glauben, es mit einem Musiker zu tun zu haben. Virtuos beherrsche Alan Greenspan die Klaviatur der Geldpolitik, heißt es immer wieder in Artikeln über ihn, virtuos dirigiere er das Geschehen an den Börsen. Für Bob Woodward, den Starreporter der Washington Post, ist er nur der „Maestro“ – auch sein Buch über den Chefbanker heißt so. Der Eindruck ist nicht ganz verkehrt. Tatsächlich wollte Greenspan zunächst Jazzmusiker werden. Er spielt selbst Klarinette und Saxofon – virtuos, versteht sich. „Ich habe aber bald erkannt, dass ich im Musikgeschäft nur begrenzt weit kommen würde“, so Greenspan über Greenspan. Als Ökonom brachte er es weiter. Seit 19 Jahren ist er Vorsitzender des Gouverneursrats des Federal Reserve System, kurz Fed, und hat heute als US-Notenbankchef seinen letzten Arbeitstag, am 1. Februar übernimmt Ben Bernanke das Amt.

Greenspans Wirkungsfeld mag in Washington sein, aber er ist ein waschechter New Yorker. Hier wurde er 1926 geboren. Hier studierte er und brachte es relativ spät, 1977, zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften. Da hatte er schon mit einer Beratungsfirma ein Vermögen gemacht und dem republikanischen Präsidenten Gerald Ford als oberster Wirtschaftsberater gedient.

Aber die Darstellung seiner Karriere beschreibt das Phänomen Greenspan noch nicht mal ansatzweise. Dazu gehört wenigstens noch seine Erscheinung. Die erinnert am ehesten an eine Schildkröte, vornüber gebeugt mit vorgerecktem, weitgehend kahlem Kopf. Mit großer Nase und noch größeren Brillengläsern, über deren dunklen Rahmen er öfters fragend seine Augenbrauen hochzieht, so als warte er geduldig, bis seine Zuhörer mit dem Verstehen nachkommen. Dazu noch die hohe Stirn, die er in grüblerische Falten legen kann, und ein Mund, der mit seinem breiten Grinsen mitunter Julia Roberts Konkurrenz macht.

Aber damit ist immer noch nicht geklärt, was Greenspan so populär macht. Warum finden ihn sogar Leute toll, bei denen bebrillte Schildkröten nicht unbedingt als Schönheitsideal gelten und die ansonsten von Geldpolitik keine Ahnung haben? Sicher, in den fast zwei Jahrzehnten, in denen er der Fed vorstand, war die Inflationsrate deutlich niedriger als unter seinen Vorgängern. Aber das haben die meisten anderen Notenbanken der Welt auch geschafft, ohne dass deren Chefs gleich Kultstatus erhielten. Schon gar nicht Fan-Websites. Alan Greenspan schon.

Nur ihm – und nicht etwa der Regierung – trauten viele Amerikaner zu, die Wirtschaft und die Börse zu retten, als es dort 2001 nach dem Ende der New Economy so richtig crashte. „Um Gottes Willen, tun Sie etwas für die Wirtschaft. Wir verlieren viel Geld – handeln Sie jetzt! Danke!“, schrieb ihm 2002 ein verzweifelter Anleger. Greenspan handelte. Anders als seine europäischen Kollegen senkte er den Leitzins drastisch auf nur mehr ein Prozent. Wirtschaft und Börsen der USA gewannen schnell wieder an Fahrt. Auch das anders als in Europa. Kritiker monieren, er habe durch das billige Geld, das die Zentralbank zur Verfügung stellte, eine neue Blase ausgelöst: einen unhaltbaren Immobilienboom gepaart mit einer verrückten Staatsverschuldung. Die meisten Amerikaner sehen das anders. Verständlicherweise ziehen sie Wachstum und neue Arbeitsplätze einer stabilen, aber in der Rezession stecken gebliebenen Wirtschaft vor. „Sie sind eine von wenigen Persönlichkeiten, die in die Ruhmeshalle gehören“, schreibt ein anderer Fan, „neben John F. Kennedy, Margaret Thatcher, Napoleon Bonaparte, Jesus Christus und Alexander dem Großen.“

Der stets bescheiden, fast schüchtern auftretende Greenspan gilt längst als zweitwichtigster Mann der USA nach dem Präsidenten. Der Boom der Neunziger Jahre, der längste in der Geschichte der USA, wird ihm zugeschrieben. Vor allem konservative Amerikaner glauben nicht, dass Bill Clinton dazu viel beigetragen hat. Greenspan ließ die Wirtschaft weiter wachsen, würgte die Konjunktur nicht aus lauter Inflationsangst durch immer höhere Zinsen ab. Dass er die Aktienblase Ende der Neunziger und vor allem den darauf folgenden Crash nicht verhinderte, beschädigte seinen Ruf nicht nachhaltig, Wirtschaft und Börsen waren eben bald wieder auf Wachstumskurs.

Seine erste Krise hatte Greenspan nur zwei Monate nach seinem Antritt bei der Fed zu meistern. Am 19. Oktober 1987 setzte ein Börsencrash der längsten Hausse der Nachkriegszeit ein Ende. Greenspan bestand die Prüfung. Ein halbes Jahr später hatten die Aktienkurse wieder den Stand von vor dem Schwarzen Montag erreicht. Von da an vertraute man ihm, sein Ruf als geldpolitisches Genie festigte sich. Erfolgreich schützte er die US-Wirtschaft vor diversen wirtschaftlichen Katastrophen, der Finanzkrise in Mexiko 1994 etwa, der Asienkrise 1997 oder dem Kollaps des LTCM-Hedge-Fonds 1998. Die Amerikaner fühlten sich sicher unter Greenspan.

In seiner Amtszeit wuchs die Wirtschaft zumeist kräftig, die Arbeitslosigkeit sank. Doch die Inflation, die man bis dahin als zwangsläufige Begleiterscheinung hoher Wachstumsraten betrachtete, die gab es praktisch nicht mehr. Gemeistert hat er das mit fast hundert kleinen Drehungen an der Zinsschraube zum rechten Zeitpunkt – aber vor allem lenkt er die Marktteilnehmer mit seinen Äußerungen, die direkt vom Orakel von Delphi zu kommen scheinen, mindestens so weise klingen, aber noch viel kryptischer sind. Die Finanzwelt hängt an seinen Lippen. Allein wie er etwas sagt, kann Märkte bewegen.

Orakelte die Pythia von Delphi über einer Erdspalte sitzend, aus der Gase entströmten, so sitzt Alan Greenspan angeblich am liebsten morgens in der Badewanne, um sich seine Statements auszudenken. Die klingen meist so erhellend wie dieser Satz, den er im vergangenen November vor mexikanischen Notenbankern sprach: „Was immer der Auslöser der Anpassung sein wird, die Entwicklung hin zu einem Ausgleich der Leistungsbilanz wird, zusätzlich zu der Tatsache, dass sie durch die Umschichtung der externen Portfolios ausländischer Investoren angetrieben wird, wahrscheinlich Handlungen von US-Bürgern widerspiegeln, um inländische Ungleichgewichte anzugehen.“ Wie bitte?

Doch Greenspan klingt nur wie ein zerstreuter Professor. In Wirklichkeit hat die in den USA als „Greenspeak“ bezeichnete Wirrheit genauso wie sein einschläfernd monotoner Redestil Methode. So lange seine Prognosen und Urteile im Vagen bleiben, resultieren daraus keine Panikreaktionen. Spätestens 1996 hat er das gelernt, als er während einer langen Dinnerrede im Zusammenhang mit dem gerade hoch kochenden Dot-Com-Börsenboom von „irrationaler Überschwänglichkeit“ sprach. Tags darauf brachen die Börsen in aller Welt um mehrere Prozent ein. Greenspan schien ehrlich erschrocken über seine eigene Macht. Nie wieder wurde er so deutlich. „Wenn ich mich besonders klar auszudrücken scheine“, hat er einst gesagt, „dann haben Sie das, was ich sagte, wahrscheinlich missverstanden.“

Gern wird kolportiert, dass seine langjährige Freundin Andrea Mitchell erst nach wiederholtem Anlauf Greenspans Heiratsantrag als solchen verstanden hat. 1997 heirateten der Notenbanker und die fast zwanzig Jahre jüngere TV-Korrespondentin.

So undurchsichtig seine einzelnen Statements sind, so klar ist Alan Greenspans politische Orientierung: rechts. 1952 lernte er die Schriftstellerin und Sozialphilosophin Ayn Rand kennen. Deren neoliberale Theorien über die Segnungen des Laisser-faire-Kapitalismus und des rationalen Egoismus beeinflussten ihn maßgeblich. Dem Staat hat Rand nur eine Rolle als Nachtwächter zugedacht.

Zwar hat Greenspan immer ethische Werte hochgehalten: Gewinnstreben ja, aber nicht auf Kosten anderer. Oder in seinen Worten: „Materieller Erfolg ist viel befriedigender, wenn er ohne die Ausbeutung anderer erzielt wurde.“ Dennoch ist es angesichts seiner eher neoliberalen Überzeugungen kein Wunder, dass Greenspan die republikanischen Präsidenten Ronald Reagan und George W. Bush bei ihren radikalen Steuersenkungsprogrammen und beim damit einhergehenden Abbau staatlicher Leistungen unterstützte. Trotz Wirtschaftsboom – in der Ära Greenspan sind viele US-Amerikaner ärmer geworden. Nachfolger Ben Bernanke muss wohl bald seine erste Feuerprobe bestehen, denn die Verschuldung des US-Staates wie auch der Privathaushalte ist ins Krisenhafte gestiegen.

Aber bevor Bernanke das Ruder übernimmt, leitet Alan Greenspan heute noch einmal die Sitzung des geldpolitischen Rats der Fed. Allen Prognosen nach wird er ein letztes Mal die Leitzinsen erhöhen. Nach einer Abschiedsfeier in seinem Büro „ist er dann auf sich gestellt“, sagt ein Sprecher der Fed mit etwas Mitleid in der Stimme.

Und was macht er so auf sich gestellt? Immerhin ist er mit seinen 79 Jahren im besten Rentneralter. Ein Buch will er angeblich schreiben, weiter monotone Reden halten. Aber das reicht ihm nicht. Er wird auch eine Beratungsfirma namens Greenspan Associates gründen – seine alte Firma hatte er aufgelöst, als er bei der Fed anfing. Vielleicht dient Greenspan die Reise in die eigene Vergangenheit ja als Verjüngungskur.