Sprache der Gefühle

„Zentrum gegen Vertreibungen“ plant Ausstellung mit europäischer Perspektive, aber ohne den Holocaust

BERLIN taz ■ Nicht nur Buch-, sondern auch Ausstellungsprojekte haben ihr Schicksal. Gestern stellte Erika Steinbach, Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV) und Initiatorin des geplanten „Zentrums gegen Vertreibungen“, das Projekt „Erzwungene Wege“ vor. Im Berliner Kronprinzenpalais Unter den Linden sollen vom 10. August bis 29. Oktober exemplarisch neun Vertreibungen in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts gezeigt werden, vom Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 bis zu den Vertreibungen im Bosnien der 90er-Jahre. Die Ausstellung soll einen chronologischen und einen auf tiefergehende Fallanalysen bezogenen Teil haben. Als temporäres Unternehmen, so Steinbach, sei sie nicht identisch mit der geplanten Daueraustellung, aber durchaus im Einklang mit deren Intentionen

Steinbach wie auch die Publizistin Helga Hirsch, Mitglied des „wissenschaftlichen Beirats“, hoben hervor, dass es zwischen dem Ausstellungsprojekt des BdV und der gegenwärtig laufenden Vertriebenenausstellung des Bonner Hauses der Geschichte weder ein Konkurrenzverhältnis noch inhaltliche Überschneidungen gebe. Denn die Bonner Ausstellung befasse sich ausschließlich mit Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten und dem östlichen Europa sowie dem oft schmerzvollen Prozess ihrer Integration im Nachkriegsdeutschland. In der Vergangenheit, so Hirsch, sei dem „Zentrum“ stets der Vorwurf gemacht worden, es konzentriere sich einseitig auf das deutsche Vertriebenenschicksal und befördere die Haltung der Vertriebenen, sich in ihrer Opferrolle einzumauern. Jetzt sei es das Projekt des BdV, das das deutsche Vertriebenenschicksal in den europäischen Kontext stelle und den Weg öffne für die Verständigung aller Vertriebenenopfer.

Dem Problem, welche Rolle der Deportation und dem nachfolgenden Mord an den europäischen Juden in der Ausstellung zukommen soll, wollen die Ausstellungsmacher durch Auslassung beikommen. Behandelt werden sollen nur Ausgrenzung und erzwungene Emigration der deutschen Juden bis 1939. Während der gestrigen Pressekonferenz wurden Erika Steinbach und der Projektleiter Wilfried Rogasch allerdings mit der Frage konfrontiert, wie denn im Rahmen der Ausstellung die Opfer eines Genozids von denen von Vertreibungsaktionen ohne systematische Mordabsicht voneinander geschieden werden könnten. Und ob nicht die Relativierung von Völkermorden, insbesondere des Holocaust, das notwendige Resultat einer solchen Vermischung sei. Rogasch unterschied hier zwischen der Opferperspektive, wo es keinen Unterschied mache, aus welchen Motiven jemand den Tod gefunden habe, und der Perspektive des Wissenschaftlers, der solche Unterschiede gerade herausarbeiten müsse. Wie die Sprache der Gefühle, die Empathie mit allen Opfern von Vertreibungen bewirken soll, sich zur Sprache der Analyse verhalten müsse, blieb allerdings unklar.

Helga Hirsch plädierte dafür, den Schmerz der Opfer von Vertreibungen „anzuerkennen“. Dies gelte auch für die deutschen Opfer. Denn nur eine solche Anerkennung führe dazu, dass die deutschen Vertriebenen auch „fremden“ Schmerz anerkennen würden. Ein sehr abstraktes Postulat, das von der Nachkriegsgeschichte des BdV, seinen Machtpositionen wie auch seiner verständigungs- und friedensfeindlichen Politik vollständig absieht – ganz so, als ob der BdV stets der Paria gewesen sei.

CHRISTIAN SEMLER