Drudel gegen den Rest der Welt

Wie viel Wirklichkeit transportieren digitale Bilder, wie tief kann das technisch hochgerüstete Auge unter die plane Bildoberfläche gehen? Die Ausstellung „High Definition“ in der NGBK stellt diese Fragen mit sportlich-ästhetischem Ehrgeiz

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

„Ich fühle mich verloren. Ich gehe nach Hause“, sagt die Stimme der Fotografin im Off. Wieder hat sie einen Mann bei Starbucks getroffen, der sich auf ihre Anzeige hin gemeldet hat und dann nichts von sich preisgeben wollte. Wieder ist nur Leere da entstanden, wo sie Nähe wollte. Die Fotografin sucht Kontakte, sie will Unbekannte porträtieren – möchte aber, bevor sie auf den Auslöser drückt, von ihnen wissen, was ihr Bild mitteilen soll. Das ist eine doppeldeutige, gleichzeitig intime und provozierende Situation, von der die amerikanische Künstlerin Shelley Silver in ihrem 15-minütigen Bildessay „What I’m looking for“ erzählt.

Ein Japaner will am Ground Zero fotografiert werden und beginnt, über seine Familiengeschichte und Hiroschima zu reden. Dann tanzt ein bärtiger Mann nur mit einer Unterhose bekleidet auf den verschneiten, nächtlichen Straßen von New York und behauptet: „Die Tapferen sind vor der Kamera, die Feiglinge dahinter.“ Was für ein Irrtum, denkt man. Zu deutlich machen viele Bilder – gerade die, die Silver mit einem Balken versehen hat – die exhibitionistische Lust der Fotografierten und ihr Gefühl der Macht über die Fotografin.

Shelley Silvers Video ist Teil der Ausstellung „Auflösung I: High Definition“, mit der das Realismusstudio der NGBK eine dreiteilige Reihe startet über die Veränderung der Wahrnehmung durch neue Medientechniken. Im ersten Teil geht es um das, was hoch auflösende Bildtechniken versprechen: größeren Thrill und gesteigerte Nähe – in der Unterhaltungselektronik, im Kino, im Nachrichtenwesen, in den voyeuristischen Blicken von Pornografen und Papparazzi, ja selbst im privaten Hausgebrauch. Die anscheinend wachsende Macht der Bilder also, unter die Haut zu dringen, Gefühle und Körper zu besetzen und Intensität dort zu steigern, wo das Leben sie vermissen lässt. Doch Shelley Silvers Video steht beispielhaft dafür, dass es der Ausstellung nicht um die Einlösung dieser Versprechen geht, sondern um die Veränderung der Erwartungen.

Die beteiligten KünstlerInnen beschäftigt vor allem der Moment des Umschlags, wo der Wunsch nach mehr – mehr Deutlichkeit, mehr Informationsdichte, mehr Pixel – bei ihnen umkippt in ein weniger – weniger Deutlichkeit, weniger Lesbarkeit, weniger Gegenständlichkeit. Sie generieren abstrakte Bilder und meditative Licht- und Farbmuster aus einem Material, das eigentlich nach immer größerer Konkretion strebt. In den Arbeiten von Thorsten Hallscheidt, Jim Campbell, Kjell Bjorgeengen, Günter Selichar, M + M und Armin Häberle sieht man vor allem eins: wie der Informationswert eines Bildes zur Fiktion verblassen und stattdessen der Prozess der Bildwerdung sichtbar werden kann. Was dabei ungewohnt ist für eine Ausstellung zeitgenössischer Medienkunst: Die Oberflächen konkurrieren nicht um Aufmerksamkeit, nirgendwo überlagern sie sich in lauter Hektik – fast wirken sie wie abstrakte Malerei in neuen Spielarten.

Von Regen und Blitzen wird die dunkle Fläche zerrissen in der DVD-Projektion „Iteration (Stirb langsam)“ von Thorsten Hallscheidt: ein Loop, der Chaos und gewaltige atmosphärische Kräfte suggeriert. Tatsächlich hat sich Hallscheidt aber nur reingezoomt – in eine Sequenz des Hollywood-Thrillers „Stirb langsam“, wo er das Toben der Elemente in irgendeinem Fleck seitlich neben dem schießenden Helden entdeckt hat.

Melancholischer noch formuliert Jim Campbell die Tendenz zur Auflösung in seinen Porträts von Harry Nyquist und Claude Shannon auf beschichtetem Plexiglas. Unregelmäßig aufflackernde Leuchtdioden hinter den Scheiben machen die eh schon verschwommenen Züge dieser Pioniere der Medientheorie vollends zu ungreifbaren Geistern. Das Bild ist kein Inbegriff der Wahrheit, sondern der Vergänglichkeit.

Nachrichtenbilder haben M + M aufgegriffen: Man erkennt den Papst und den Platz vor dem Petersdom, einen Kontrollpunkt an einer Grenze, Sandsäcke, Bewaffnete. M + M zeigen die Meldungen als schmale Bildstreifen, aufgelöst in Einzelbilder, die wie Zeilen aus Buchstaben übereinander stehen und Sendezeit in ein visuelles Muster übersetzen. Es entstehen Ornamente, die erst im Herangehen wieder lesbar werden – die Bilder stapeln sich zu einem Bilderberg, parallel zur wachsenden Quantität der Information. Der Künstler thematisiert anschaulich, dass dieser hypertrophen Information nicht automatisch wachsende Speicher und entsprechende Verarbeitungsfähigkeiten gegenüberstehen.

Das alles klingt wenig euphorisch hinsichtlich der Hightech-Entwicklung, ist aber nur ein Aspekt, den die Ausstellung aufgreift: Denn synchron mit der technischen Medienentwicklung verfeinern die Künstler ja ihre Instrumente, die Eigendynamik dieser Entwicklung zu thematisieren. Es liegt auch etwas von sportlich-ästhetischem Ehrgeiz in diesem Spiel.

Auflösung I – High DefinitionNGBK, Oranienstr. 25, tägl. 12–18 Uhr,bis 12. Februar