Korruption macht Gesundheitswesen krank

Transparency International untersucht im Jahresbericht 2006 gekaufte Zulassungsbehörden und gefälschte Pillen

BERLIN taz ■ Drei Billionen US-Dollar Umsatz im Jahr machen weltweit die Pharmaindustrie und das Gesundheitswesen, aber korrupte Praktiken dabei töten jährlich tausende. Dies ist das Fazit der Korruptionsbekämpfungsorganisation Transparency International (TI) in ihrem Jahresbericht 2006, den sie gestern in London vorstellte. „Der Preis für Korruption im Gesundheitswesen ist menschliches Leid“, sagte die TI-Vorsitzende Huguette Labelle.

Korruption im Gesundheitswesen hat viele Gesichter. Auf der einfachsten Ebene ist es das Trinkgeld, das ein unterbezahlter Krankenpfleger in einem armen afrikanischen Land von Aidskranken dafür verlangt, dass er ihnen kostenfreie Aidsmedikamente aushändigt. Auf der kompliziertesten Ebene ist es die ökonomische Loyalität von Mitgliedern staatlicher Behörden, die über Medikamentenzulassungen entscheiden. So vermerkt der TI-Bericht, dass die US-Medikamentenbehörde FDA (Food and Drug Administration) letztes Jahr mehrheitlich für die Wiederzulassung des Schmerzmittels Vioxx stimmte, obwohl die Herstellerfirma Merck es wegen tödlicher Nebenwirkungen vom Markt genommen hatte.

Die FDA-Abstimmung ging mit 17 zu 15 Stimmen für Vioxx aus – und zehn Delegierte hatten „finanzielle Verbindungen“ zum Vioxx-Hersteller, schreibt der Bericht: „Es ist schwer zu verstehen, warum die Standards zu Interessenkonflikten in der Medizin niedriger sein sollten als in anderen Berufszweigen.“

Die tödlichsten Auswirkungen von Korruption im Gesundheitswesen gibt es im Bereich gefälschter Medikamente – ein Markt, der nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation ein Viertel des Gesamtmarktes für Medikamente in Entwicklungsländern ausmacht, so TI. Skrupellose Firmen in Asien würden afrikanische Länder mit billigen, dafür aber wirkungslosen Präparaten überfluten. In Nigeria galten 2001 68 Prozent aller Medikamente als gefälscht; manchmal wurden ganze Schiffscontainer davon importiert, deklariert zum Beispiel als Ersatzteile für Motorräder.

Der Bericht stellt Nigeria zugleich als Vorbild dafür heraus, wie der Kampf gegen gefälschte Pillen funktionieren kann: Die Regierung erließ ein generelles Einfuhrverbot für alle Medikamente, die von ihren Herstellern als „Nur für Export“ gekennzeichnet sind, und verhängte totale Importsperren gegen 19 Unternehmen aus China und Indien. Der Anteil gefälschter Medikamente sei zwischen 2001 und 2004 dadurch um vier Fünftel zurückgegangen, so Transparency International.

Wenn in kriselnden Entwicklungsländern internationale Programme für Seuchenbekämpfung an die Stelle nationaler Gesundheitssysteme treten, ist das Ergebnis nicht unbedingt weniger Korruption, analysiert der Bericht unter Verweis auf die weitgehend internationalisierte Aidsbekämpfung in Afrika weiter. Aidsgruppen organisieren fiktive Seminare, Aidsbekämpfungsbehörden vergeben Budgets ohne Kontrolle, heißt es unter Verweis auf Kenia, dessen Aidsbehörde NACC seit 2001 48 Millionen Dollar habe verschwinden lassen. Wenn die Geber stattdessen alles selbst machen, könne dies nach hinten losgehen: „Geber richten parallele Systeme ein, um das Korruptionsrisiko zu verringern, aber dies zweigt Talente und Kapazitäten aus dem offiziellen Regierungssystem ab.“

Transparente Ausschreibungsverfahren und Budgets, unabhängige Überprüfungen und „rigorose Strafverfolgung“ seien Grundbedingungen für eine Besserung, folgert Transparency International. Eine deutsche Version des Berichts soll in wenigen Monaten veröffentlicht werden.

DOMINIC JOHNSON