„Die Welt macht mich zornig“

Wie die Pharmaindustrie mit der Aids-Krise in Afrika Profite macht und sich längst nicht mehr von staatlichen Institutionen kontrollieren lässt: ein Gespräch mit dem schwedischen Schriftsteller Henning Mankell über seinen Roman „Kennedys Hirn“

von BRIGITTE WERNEBURG

taz: Herr Mankell, Sie sagen im Nachwort Ihres Buchs, Sie hätten den Roman aus einem großen inneren Zorn heraus geschrieben. Was ist der Grund Ihres Zorns?

Henning Mankell: Die Welt, wie sie heute aussieht. Die Tatsache, dass wir in einer Welt leben, in der die Kluft zwischen den Armen und den Reichen jeden Tag größer wird und in der wir immer noch zwischen uns und den anderen unterscheiden. Die Tatsache, dass im Namen der Aids-Krise so viele unsägliche Dinge in dieser Welt geschehen können. Wie etwa die Geschichte in meinem Buch, die sich in China ereignet hat, wo ohne jede Kontrolle und ohne jedes Wissen der nationalen wie internationalen Gesundheitsbehörden eine amerikanische Firma Aids-Medikamente testete – mit tödlichem Ausgang für die behandelten Menschen.

Die afrikanische Stimme, die in Ihrem Buch über die Aids-Krise des Kontinents spricht, gehört dem Journalisten Nuno da Silva. Sie führen ihn als einen exzellenten, kritischen und daher von den Machthabern gefürchteten Journalisten ein. Ausgerechnet er stellt die Behauptung auf, Aids stamme aus dem Labor. Würde ein so hervorragender Journalist seine Aufmerksamkeit nicht eher der offiziellen Aids-Politik in Mosambik und ihren Problemen widmen? Der internationalen Gesundheits- und Entwicklungspolitik und ihrem Zusammenspiel mit der internationalen Pharmaindustrie?

Dieser Figur basiert auf einer realen Person, und dieser Journalist berichtete tatsächlich in dem von Ihnen erwähnten Sinn kritisch über die Aids-Politik seiner Regierung. Das war einer der Gründe, warum er getötet wurde. In meinem Buch geht es aber nicht darum, worüber ein Journalist berichten soll. Ich kann Ihnen versichern, dass die meisten afrikanischen Journalisten nicht so berichten, wie Sie das gerne hätten. Weil sie eingeschüchtert und bedroht werden. Wenn ich also den Journalisten so beschrieben hätte, wie Sie sich das wünschen, dann hätte ich gelogen. Das wäre eine Idealisierung der Situation. Viele afrikanische Journalisten vertreten die These, dass Aids aus dem Labor stammt.

Es ist bekannt, dass nicht nur unter den Nazis grausame und hochriskante, wenn nicht tödliche Zwangsexperimente an Menschen durchgeführt wurden. Nach dem Krieg wurden etwa in England schwangere Frauen insgeheim mit radioaktiven Stoffen verseucht, das Gleiche geschah in den USA mit schwarzen Männern, und die US-Army verabreichte Soldaten heimlich LSD. Immer waren es staatliche Institutionen, die diese Experimente durchführten, in Verbindung zu Forschung und pharmazeutischer Industrie. Sie rücken nun an die Stelle des Staates die Hilfsorganisation. Spielt der Staat in diesem Zusammenhang keine Rolle mehr?

Ja, da hat sich vieles verändert. Wenn Sie sich die pharmazeutische Industrie anschauen, die war vor zwanzig, dreißig Jahren viel mehr mit den staatlichen Institutionen verbunden als heute, über staatliche Forschungsaufträge etwa. Heute sind die Firmen sehr viel größer und mächtiger, sie haben sehr viel mehr Geld und agieren ganz unabhängig vom Staat. Sie sind nicht mehr kontrollierbar. Es ist auch so viel Geld zu machen, falls ein Impfstoff gegen Aids gefunden wird, dass die Leute alles, wirklich alles machen, um ihn zu finden.

In Ihrem Buch fällt auch der Name Bill Gates. Allerdings nicht im Zusammenhang mit Aids. Dennoch, denkt man nicht unwillkürlich an Bill Gates und seine Aids-Stiftung, wenn Christian Holloway, der teuflische Philanthrop Ihres Buchs, ein amerikanischer Milliardär ist?

Ich wollte mit Christian Holloway eine Figur von maximalem Zynismus entwerfen. Einen vermeintlichen Wohltäter, der ein Verbrecher ist. Es gibt zu viele Beispiele von Menschen, die anderes tun, als sie behaupten. Das belegt die Geschichte in China. Ich kombiniere Fiktion mit Wahrheit. Was Bill Gates und Melissa Gates mit ihrer Stiftung tun, ist in Ordnung. Aber nicht in Ordnung ist es, dass wir in einer Welt leben, in der Privatpersonen so reich sind, dass sie zur Quelle der Solidarität werden. Das sollte die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft sein, nicht die von Privatpersonen. George W. Bush kann Bill Gates als Vorwand dafür benutzen, dass seine Regierung kaum etwas für die Bekämpfung von HIV tut. Er liefert Bush die Ausrede, Solidarität bestehe allein in Freiwilligkeit. Dabei kann Bill Gates niemals so reich sein und damit so viel leisten wie die großen Industrienationen oder die Europäische Gemeinschaft, die eigentlich aufgefordert sind, zu helfen.