Boykott wird boykottiert

In Dänemark gibt es unzählige Aufrufe, muslimische Läden zu meiden. Befolgt werden sie nicht, doch auch der Boykott der Tageszeitung „Jyllands-Posten“ ist erfolglos

KOPENHAGEN taz ■ Einen Kauf- und Anzeigenboykott gegen Jyllands-Posten gebe es mittlerweile, sagt ein Passagier in der Kopenhagener S-Bahn und deutet auf die vor ihm liegende Tageszeitung, die die umstrittenen Karikaturen veröffentlichte. Langsam fällt es wirklich schwer, die Übersicht über alle Boykottaufrufe gegen dänische Produkte zu behalten. Vor allem, da sie offenbar recht wirkungslos sind. Beim großen Zeitungsladen im Hauptbahnhof werden nicht weniger Jyllands-Posten verkauft als an anderen Tagen. „Aber auch nicht mehr“, sagt die Kassiererin.

Von dem „Boykott islamischer Läden“, zu dem Politiker der Dänischen Volkspartei aufgerufen haben, merkt man im „10 Plus“ nichts, dort wird so viel Obst und Gemüse wie immer verkauft. Den Aufruf „Boykottiert muslimische Fahrer“ zu befolgen, dürfte etwas für Masochisten sein. Wer auf ein Taxi mit vom Aussehen her garantiert „nordischem“ Fahrer Ausschau hält, steht lange auf dem Trottoir. Und braucht an der Bushaltestelle gar nicht erst zu warten.

Im „Falafel House“ ist es hektisch wie immer. „Boykott, warum sollte ich“, fragt Morten, der hier Stammkunde ist, „mir hat doch keiner was getan.“ Die Aufforderung zum Kauf von Paperbackexemplaren des Korans und deren anschließender Verbrennung nehmen offenbar nicht einmal die ernst, die das in die Welt setzten. Am Mittwochabend hatten sich am angegebenen Platz nur einige Neugierige, Kamerateams und Polizeibeamte eingefunden. Die zwei Jugendlichen mit Baumaterialien, die auch als Schlaginstrumente hätten eingesetzt werden können, nehmen die Beamten zur Personalienfeststellung zu ihrem Kleinbus mit. Bei der spontanen Diskussion über die Veröffentlichung der Karikaturen, die unter den Passanten entsteht, wird die Hauptschuld an der jetzigen Entwicklung der Regierung zugesprochen. Die keine Gesprächsbereitschaft gezeigt habe. Viel Sympathie für die Zeitungsaktion gibt es nicht. Die Runde beißt sich schnell an der Frage fest: Geht es um die Verteidigung von Meinungsfreiheit oder die Unterstützung von Rassismus?

In einer ehemaligen Fabrik am Rande Kopenhagens hat die „Islamische Glaubensvereinigung“ ihr Hauptquartier. Im Treppenhaus stehen JournalistInnen aus aller Welt Schlange, um eine Stellungnahme von deren Sprecher Imam Ahmed Abu Ladan zu bekommen. „Lohnt nicht zu warten“, winkt eine norwegische Journalistin ab, die gerade ihre „Audienz“ hatte. „Nur das, was schon in den Zeitungen steht: Nein, wir sind mit den Entschuldigungen nicht zufrieden. Ja, wir lehnen Gewalt ab. Ja, wir verurteilen den Wirtschaftsboykott.“ Derselbe Abu Ladan flimmerte am Abend vorher mit ganz anderer Botschaft über den TV-Sender al-Dschasira und brachte Freude über den Boykott dänischer Waren zum Ausdruck.

Hassan ist Techniker und hat sich vor einiger Zeit mit einem IT-Service selbständig gemacht. Seine Familie stammt aus der Türkei. Er ist in Dänemark geboren und einer von rund 200.000 Muslimen, was drei Prozent der Gesamtbevölkerung Dänemarks entspricht. Hassan kann es sich nicht im Traum vorstellen, wegen der Mohammed-Karikaturen auf die Barrikaden zu gehen. Und ein Abu Ladan spreche nicht für ihn. „Als gestern der Bericht über eine bestens organisierte angebliche Spontandemonstration von tausenden Frauen im Jemen in den Fernsehnachrichten lief, musste ich lachen“, sagt er. „Aber als die Karikaturen gedruckt wurden, war ich doch etwas irritiert.“ Zu offensichtlich sei für ihn die Absicht der Zeitung gewesen, „damit wollen wir euch kränken und es ist uns scheißegal, was ihr denkt“.

Von der Aktion anderer europäischer Blätter, die Zeichnungen nachzudrucken, hält Hassan gar nichts: „Wenn einer sich auf den Marktplatz stellt und auf die Bibel pinkelt, mag er das Recht dazu haben. Aber deshalb muss ich mich nicht daneben stellen und auch darauf pinkeln.“

Reinhard Wolff