Witt For Fun

Denn Fun ist ein Stahlbad. Mit „Bayreuth 3“ legt Joachim Witt den dritten Teil seiner Werkgruppe zur Neuen Deutschen Härte vor

VON THOMAS WINKLER

Es ist ein kleiner, aber eindrucksvoller Auftritt. Einer, der vollen Körpereinsatz verlangt. Wenn Joachim Witt dieser Tage in Berlin auf die Bühne geht, dann glänzt er nicht mit allzu elaborierten Textzeilen. Nein, was da glänzt, ist sein entblößter, mit Theaterblut beschmierter Hintern, den er dem Publikum entgegenstreckt. Das besteht zu einem Gutteil aus süddeutschen Schulklassen, die anschließend im Foyer des Studios des Maxim Gorki Theaters erregt diskutieren, warum ihnen auf ihrer Klassenreise der nackte Arsch eines Sechsundfünfzigjährigen zugemutet wird, der schon ein Star der Neuen Deutschen Welle war, als sie noch nicht einmal geboren waren.

Die Rolle des Kinderpornokonsumenten Herr Strassmann in „Muxmäuschenstill“, einer Adaption des gleichnamigen Films, ist dem gelernten Schauspieler und mittlerweile wieder erfolgreichen Musiker Joachim Witt zwar nicht auf den Leib geschrieben worden, passt aber perfekt in sein Portfolio. Sagt Witt an einem klirrend kalten Samstagvormittag in der menschenleeren Kantine des Theaters doch über sich und seine Arbeit: „Ich fordere bewusst Reaktionen heraus. Das ist ein Spiel.“ Das dritte Drittel seines bislang erfolgreichsten Matches ist gerade angebrochen. Mit seinem neuen Album „Bayreuth 3“ eröffnet Witt – und man kann davon ausgehen: bewusst – eine neue Runde der Diskussion um die Neue Deutsche Härte. Wieder schmettert er schwere Worte mit großer Geste über noch schwerer dümpelnden Düsterrock, und wieder wird sich die Frage stellen: Vertreibt Joachim Witt rechtsradikales Gedankengut? Ist er, wie er selbst glaubt, halt „kein Schmalspurdenker“?

Gern spricht er über „kulturelle Identität“, redet von der „groß empfundenen Emotionalität als Zentrum“ seines Schaffens, verbreitet seine Selbsteinschätzung als „Kosmopolit“. Sein Lieblingswort aber ist Struktur. Meist ist Struktur etwas Schlechtes. Bevor der gebürtige Hamburger 1981 einer der Stars der Neuen Deutschen Welle und zum „Goldenen Reiter“ wurde, erlernte er in jungen Jahren die Schauspielerei, konnte sich aber mit den im Theaterbetrieb herrschenden „hierarchischen Struktur“ nur „ganz schwer abfinden“. Überhaupt diagnostiziert er bei sich „ein relativ großes Oppositionspotenzial zu besonders konservativen Strukturen“. Auch „ökonomische Strukturen, die Börse, das sind alles Dinge, die mir unangenehm aufstoßen“. Manchmal ist Struktur aber auch etwas Gutes, so wie in: „Wir haben hier keine entsprechenden sozialen Strukturen mehr.“

Kontrovers muss es sein

Hört man allerdings „Bayreuth 3“ (Primadonna/Edel), fragt man sich unweigerlich, warum der Künstler seine Überzeugungen nicht nur hinter dumpf dröhnenden Gitarren und wenig einfühlsam bollernder Elektronik verbirgt, warum die aufklärerische Verve zugeschüttet wird von meist wenig sensiblem Erektionsrock, sondern auch hinter verquasten Formulierungen versteckt. Seit Witt mit der Das-Boot-ist-voll-Hymne „Die Flut“, die er im Duett mit Wolfsheim-Sänger Peter Heppner dahergrollte, 1998 aus dem tiefen Nach-Neue-Deutsche-Welle-Karriereloch auftauchte, hat er sein Erfolgsrezept entdeckt: Das Rollende R mit Schwermetallbegleitung und Gothic-Einsprengseln, um die Zielgruppe bei Friedhofslaune zu halten. Hier nun reimt Witt „Überfluss“ auf „den keiner haben muss“, und meint „der Verzweiflung nah irrt die Menschenschar“ auf der Suche nach einer „Faust aus Stahl“. Der Song heißt „Neuland“ und in der schönen neuen Welt ist alles besser, nur wie genau, das weiß nur Witt. Auch in „Schmutz“ verwechselt der Künstler Poesie mit Pathos („Wintermärzens schmerzt die Qual / Was ich erlebt hab wird nie schal“), beklagt aber auch „der Werte Wertverlust“ und verspricht im Refrain: „Irgendwann dann stopf ich den Schmutz.“ Fragt sich nur: Wohin?

„Ich finde meine Texte deutlich genug“, sagt Witt, „wer einigermaßen Grips hat, der merkt, was da los ist.“ Wer allerdings weniger Grips hat, den könnten sowohl die Texte als auch Witts im Interview geäußerte Überzeugungen erinnern an die Parolen, die an deutschen Stammtischen geklopft werden. Von „verschiedenen Kulturen“, die hierzulande „aufeinanderprallen“, spricht er und von versäumter Integration. Einen „hysterischen Verfolgungswahn“, der die Deutschen plage angesichts ihrer Geschichte, meint er zu sehen und „Berührungsängste mit der eigenen Kultur“. Er nennt sich „demokratischer Sozialist“ und wünscht sich „viel rigidere Reformen“.

Witt gefällt sich in der Rolle des Underdogs und sucht doch ständig Anschluss an die angeblich schweigende Mehrheit. Natürlich sei das schrecklich, was in der Vergangenheit geschehen ist, sagt er, aber nun hätten wir hierzulande nun mal „Menschen aus einem anderen Kulturkreis“ und „man muss auch mal Stellung beziehen, was gesellschaftlich relevant ist“. Auch der Föderalismus sei „eine ziemlich abgekartete Sache“, der „lähmt den ganzen Staatsapparat“ – eingebrockt haben ihn uns die Alliierten. Früher hat der bekennende PDS-Anhänger grün gewählt, heute ist ihm das „zu mainstreamig“ geworden.

Richtig in Fahrt gerät er, wenn er ungefragt „das Krebsgeschwür der Menschheit“ identifiziert: Die Religionen sind nicht nur „das grundsätzliche Übel der Gesellschaft“, sondern gar „Faschismus in Reinkultur“. Das Christentum ist aufgrund erfolgter Reformationen noch einigermaßen gelitten bei Witt, aber unter der mittelalterlichen Knute des Islam zu leben, das wäre „grauenvoll, da würde ich verrückt werden“. Natürlich ist Witt offen für alles, gibt es für ihn „nichts Schöneres als orientalische Musik oder brasilianische Musik – nichts Schöneres“. Er hat auch schon im Ausland gewohnt, in Portugal.

Kontakt mit den Wurzeln

Mittlerweile allerdings residiert Witt mit seiner Lebensgefährtin auf einem alten Bauernhof in der Holsteinischen Schweiz. Dort, auf deutscher Scholle, lebt er den „Versuch, direkt Kontakt mit den Wurzeln zu haben“, und macht sich auf die Suche nach „dieser Ursprünglichkeit, diesem Archaischen“. Dass seine Begleitband aus ehemaligen Musikanten der Ostrock-Institution Silly besteht, mag dadurch entstanden sein, dass man sich kennen lernte und gut miteinander auskam. Es lässt sich aber auch interpretieren als Bezugnahme auf eine andere Tradition, die des akademisch gebildeten DDR-Rock und sein staatlich verordnetes Diktum, Deutsch texten zu müssen.

Auch dass er vor acht Jahren „Bayreuth 1“ nach der Stadt mit dem grünen Hügel benannte, hatte seine Gründe: Allerdings nicht in der Traditionspflege, sagt Witt. Die von ihm so genannte „Werkreihe Bayreuth“ sollte per Namensgebung einen „ganz empfindlichen Punkt“ treffen und eine „Diskussion um kulturelle Identität anheizen“, darüber hinaus aber auch sein „Gefühl für Romantik“ definieren. Die dazugehörigen Klassiker liest er allerdings nicht. Auf Witts Nachttisch liegen stattdessen Sachbücher, momentan „Die Ethno-Falle“ von Norbert Mappes-Niediek.

Wenn er nicht liest, hört er den geliebten Richard Wagner, denn dessen Musik „spricht mich an, weil sie gewaltig ist, weil sie emotional ist“. Dass der Komponist im Dritten Reich vereinnahmt wurde, „dafür konnte er selber ja nichts, er lebte ja nun vor der Zeit“. Den Einwurf, dass sich Wagner als strammer Antisemit womöglich vorzüglich für diese Vereinnahmung eignete, weiß Witt mit erstaunlichen Geschichtskenntnissen zu kontern: „Wer war damals kein Antisemit? Es war modern in dieser Zeit, antisemitisch zu sein. Es gehörte zum guten Ton, antisemitisch zu sein.“ Die Absicherung folgt auf dem Fuße: „Ich bin alles andere als ein Antisemit, aber ich sehe die Dinge im Verhältnis.“ Aber muss sich einer, der die Dinge so ins Verhältnis rückt, wundern, mitunter in eine Ecke gerückt zu werden, in der er seiner Meinung nach nichts verloren hat?

Es ist dieses Spiel mit Provokationen, worauf sich der Erfolg der Neuen Deutschen Härte gründet. Die Verkäufe der ersten beiden Folgen von „Bayreuth“ bewegen sich im höheren sechsstelligen Bereich. Allerdings: Witt und Rammstein, den erfolgreichsten Vertretern dieses zugegebenermaßen recht konstruierten Genres, die gleiche Geisteshaltung zu unterstellen, führt in die Irre. Sie mögen sich teilweise dasselbe Publikum teilen, aber während Rammstein stets eine ironische Ebene eingezogen haben, lustvoll und voller Übertreibung das Schreckgespenst spielen, nimmt Witt sich und seine „Gefühligkeit“ vollkommen ernst. Rammstein veranstalten einen germanischen Budenzauber, einen Fasching tiefer gelegter Klischees, Witt dagegen liefert sich ganz aus und schlussendlich eine unfreiwillige Parodie seiner selbst: „Ich fang den Schuss mit meinem Gehirn / Ich fühl mich fremd auf diesem Gestirn“, singt er in „Ich spreng’ den Tag“ und fühlt sich wohl in der Pose des Unverstandenen.

Der Unverstandene

Als er nicht zu dem Benefiz-Spektakel Live 8 eingeladen wurde, gab er sich ein wenig beleidigt. „Man liebt mich oder man hasst mich“, glaubt er, und Kritiker haben nur nicht richtig hingehört: „Ich musste mich bislang mit keinem Menschen, dem meine Musik gefällt, über Deutschtümelei oder rechte Tendenzen unterhalten – mit keinem einzigen. Weil die mich alle begriffen haben. Aber man begreift mich eigenartigerweise nicht, da, wo man meine Musik nicht versteht, wo dieser Gefühlszugang nicht stattfindet.“

Das kann einem Leid tun. Muss es aber nicht: „Die Sache mit der Deutschtümelei“, sagt Witt, „die berührt mich nicht mehr, da steh ich drüber.“ Behauptet er. Und ist doch flugs dabei, sich noch einmal zu verteidigen. „Das, was ich mache, ist keine Deutschtümelei. Das, was ich mache, ist deutsch“, echauffiert er sich und meint solche Sätze nicht mal so ausschließlich, wie sie sich anhören: „Ich mache deutsche Texte und deutsche Musik.“ Nun gut: Wer hätte schon ein Problem, wenn einer sagt, seine Musik sei deutsch. Zum Problem wird das erst, wenn einer meint, nur seine Musik sei deutsch und keine andere. Das natürlich, würde Joachim Witt sagen, würde er niemals behaupten. Wird sich schon einer finden, der das sagt, oder mehrere. Aber all das liegt nicht mehr in seiner Hand.