„Werber leben im Augenblick“

Marketingchefin Stefanie Urbach, 34, verlässt nach zehn Jahren die taz. Und, war’s schön?

taz: Zehn Jahre Rettungssanitäterin. Das ist doch ein Knochenjob, oder?

Stefanie Urbach: So einen dringenden Tonfall hatten wir zwar in schöner Regelmäßigkeit, aber Rettungskampagnen hatten auch etwas Gutes. Die Erpressungskampagne von 1999 hat sogar den Lesern Spaß gemacht. Verlag und Redaktion haben damals wirklich an einem Strang gezogen.

Musste ja auch sein.

Eine Rettungsaktion ist eigentlich ziemlich heikel für das eigene Selbstbewusstsein. Zuzugeben, dass man Hilfe braucht. Erst im zweiten Schritt wird ja von außen nachvollzogen, dass die Unabhängigkeit der taz nur durch die Unterstützung der Leserinnen und Leser ermöglicht wird.

Notfalls muss man diese dann auch mal erpressen?

Man muss den Zusammenhang zwischen Abos und Existenz manchmal eben etwas drastischer klar machen. 1999 drohten wir im Wochentakt damit, die besonderen Qualitäten der taz zu eliminieren. Vorerst nur für einen Tag. Heraus kamen die meinungsfreie taz light, die taz ohne Überschriften oder die sexistische Titten-taz.

Hat denn diese Zusammenarbeit immer so reibungslos geklappt? taz und Marketing – das ist ja eigentlich eher ein Widerspruch.

Anfangs wurde in der Redaktionskonferenz die Anwesenheit von Abo-Anzeigen im Blatt ständig in Frage gestellt. Es hieß dann: Wenn jemand die taz abonnieren wolle, fände er schon einen Weg.

Gute Ideen setzen sich von alleine durch?

Mittlerweile weiß man auch in der taz, dass Marketing sein muss.

Schwer, die taz zu Markte zu tragen?

Es ist nicht leicht, die Unabhängigkeit der taz zu erklären. Diese Zeitung ist ein kompliziertes Gebilde, und Werbung muss immer verdichten und vereinfachen.

Da geht schon mal was am Wegesrand verloren?

Wenn man einem Menschen viele Bälle zuwirft, fängt er gar keinen. Wenn du ihm einen zuwirfst, kann er ihn eher fangen. Mein größtes Problem bestand anfangs darin, die Kollegen davon zu überzeugen, dass eine Botschaft pro Anzeige manchmal auch genug ist.

Gab es Vorurteile dir gegenüber?

Ich kam hier frisch aus einer Düsseldorfer Werbeagentur an, spazierte im klassischen schwarzen Designer-Outfit in die Fotoredaktion und habe meine Bildwünsche in Auftrag gegeben …

Business as usual …

Ich wurde kühl ignoriert. Meine Fotos habe ich mir dann selbst rausgesucht.

Eine harte Schule?

Die Unternehmenskultur hat mich sicherlich geschliffen. Genauso wie ich für meine Kollegen Reibungsfläche war. Den Werbeagentur-Ton habe ich jedenfalls nicht vermisst.

Was zeichnet die Unternehmenskultur der taz denn aus?

Flache Hierarchien, der offene Umgangston. In der taz kann man sich angstfrei kritisch äußern. Mag ja sein, dass manche Menschen unter Druck besser funktionieren. Ich finde, dass einen die Atmosphäre hier in der taz mehr wagen lässt.

Wie ist das, wenn man jemanden kennen lernt und sagt: Ich mache Marketing für die taz.

Das Klischee des Werbers ist das des oberflächlichen, dummen Werbefuzzis. Werber klagen gerne über die mangelnde Anerkennung ihrer Verdienste um die Kultur. Als Werberin der taz profitiere ich vom intellektuellen und moralischen Image des Produkts.

Wie war das jetzt noch mal: die Verdienste der Werbung um die Kultur?

Werbung wird von allen wahrgenommen. Sie ist nicht elitär, man muss nicht die Feuilletons studieren, um mitreden zu können. Man fährt mit dem Bus an einem Plakat vorbei und ist mitten im Diskurs.

„Geiz ist geil“?

Der Spruch ist Teil der Alltagskultur geworden. Werbung setzt keine Trends, sie greift Trends und Stimmungen auf und verschlagwortet sie.

Was ist deine schönste Erinnerung an zehn Jahre taz?

Beim Grand-Prix haben wir damals mit Senait den vierten Platz gemacht, weit vor der FAS. Oder der Panter-Preis! Aber ich bin gerade mitten in der Vorbereitung für die nächste, meine letzte Abo-Kampagne. Werber leben im Augenblick; das, was sie gerade machen, ist das Aufregendste.

Du wechselst zum Ehapa Verlag. Aus finanziellen Gründen?

Das ist zu einfach, obwohl Geld eine Rolle spielt, wenn man zwei Kinder hat. Ich gehe hier nicht gerne weg, aber es ist nicht verkehrt, sich nach zehn Jahren zu verändern. Ich habe auch nicht das Gefühl, schon alles gelernt zu haben.

Gibt es etwas, das dein Nachfolger oder deine Nachfolgerin wissen muss?

Die Stellenanzeige ist ja heute im Blatt. Man sollte sich auf dieses merkwürdige Gebilde namens taz lustvoll einlassen.

INTERVIEW: MARTIN REICHERT