Wahlkampffinanzierung per Lösegeld

Haiti erlebt vor den für Dienstag geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen eine Welle von Entführungen. Knapp zwei Jahre nach dem Sturz von Präsident Aristide droht das Land trotz einer UN-Friedensmission im Chaos zu versinken

AUS PORT-AU-PRINCEHANS-ULRICH DILLMANN

Trotz einer Entführungswelle und bereits mehrfacher Verschiebung des Wahltermins soll am kommenden Dienstag in Haiti ein Präsident und Parlament gewählt werden. Laut Haitis Polizei sind in den letzten zehn Monaten 1.900 Personen verschleppt worden, darunter Unternehmer, Ärzte, Vertreter von in- und ausländischen Hilfsorganisationen, Kinder und sogar Diplomaten. Im Dezember wurden etwa 90 Menschen entführt und gegen Lösegeld wieder freigelassen. Haiti habe längst Kolumbien als Zentrum der „Entführungsindustrie“ abgelöst, meint ein Sicherheitsexperte in der Hauptstadt Port-au-Prince.

Für die Freilassung von drei in der vergangenen Woche entführten Franzosen, darunter eine Nonne und ein Priester, wurde eine sechsstellige Summe gefordert. Die drei Ausländer waren mit Waffengewalt aus ihrem Fahrzeug gezerrt und verschleppt worden. Am Freitag vergangener Woche wurden sie freigelassen. Wenig glaubwürdig ist die Erklärung der französischen Botschaft, Lösegeld sei nicht gezahlt worden. Denn fast alle Verschleppungen enden mit Freilassung gegen Lösegeld.

Der UN-Sondergesandte für Haiti, Juan Gabriel Valdés, äußerte den Verdacht, dass der sprunghafte Anstieg der Entführungen in den letzten Monaten im Zusammenhang mit den bereits fünf Mal verschobenen und jetzt für den 7. Februar geplanten Wahlen stehe. Diplomatische Kreise in Haiti reden offener als Valdés, wenn auch mit der Bitte, keine Namen zu nennen: Mehrere Präsidentschaftskandidaten würden mit Entführungen ihren Wahlkampf finanzierten. 34 Kandidaten bewerben sich für das Präsidentenamt, 1.300 für einen Sitz im 130-köpfigen Parlament.

Seitdem Staats- und Regierungschef Jean-Bertrand Aristide Ende Februar 2004 mit französischer und US-Hilfe gezwungen wurde, sein Amt vorzeitig zu verlassen, erlebt das erneut ein Wechselbad der Gewalt. Am Aufstand gegen Aristide beteiligte Exmilitärs versuchen gewaltsam die Wiedereinführung des offiziell abgeschafften Militärs zu erzwingen. Und immer wieder fordern bewaffnete Aristide-Anhänger dessen Rückkehr aus dem südafrikanischen Exil. Mehrfach sei es zu „willkürlichen Verhaftungen, Folter und Massenexekutionen“ von Seiten der Polizei gekommen, stellte der UN-Beobachter für Menschenrechtsverletzungen, Thierry Fagart, in einem Bericht fest.

Die seit Juni 2004 im Land stationierte UN-Friedensmission Minustah hat bisher weder zu einer politischen noch einer sozialen Stabilisierung beitragen können. Sie zählt fast 7.300 Soldaten und knapp 1.750 Polizisten aus mehr als drei Dutzend Ländern, darunter auch Polizeibeamte aus China. Monatelang standen die Blauhelme selbst im Zentrum der Kritik. Mal wurde ihnen vorgeworfen, nicht entschieden genug die zahlreichen Banden zu entwaffnen. Dann wieder musste sich Minustah vorwerfen lassen, bei Einsätzen gegen mutmaßliche Banditen den Tod Unschuldiger in Kauf zu nehmen.

Beim Versuch, einen Bandenführer im Armenviertel Cité Soleil mit 300.000 Bewohnern und Zentrum der Aristide-Anhänger festzunehmen, wurde nicht nur der „Dread Willmé“ genannte Mann erschossen, sondern es starben auch 20 Unbeteiligte. Mitglieder des UN-Entwaffnungsprogramms schätzen, das sich in Händen von Privatpersonen nach wie vor 250.000 Waffen befinden. Bisher wurden nur halb verrostete Gewehre oder Handfeuerwaffen eingesammelt. Insgesamt sind im letzten Jahr über 1.500 Menschen bei Gewalttätigkeiten getötet worden.

Inzwischen laufen die Vorbereitungen für die Wahl auf Hochtouren. Auch wenn selbst der Präsident der Provisorischen Wahlbehörde CEP bereits vor einer „organisatorischen Katastrophe“ warnt. „Es wird gewählt werden, trotz aller Unzulänglichkeiten“, ist sich ein europäischer Wahlbeobachter sicher. Viele der 4,5 Millionen Wahlberechtigten sind nicht registriert. Und nur 70 Prozent der im Wahlregister Eingeschriebenen erhielten bisher einen Wahlausweis. Alles spräche für eine erneute Wahlverschiebung, sagen politische Beobachter in Port-au-Prince. Aber die „internationale Gemeinschaft“ habe sich festgelegt – komme, was wolle.