UN entsenden ihren Bildungskommissar nach Deutschland

Vernor Muñoz soll klären, ob deutsche Bundesländer Recht auf Bildung für alle Schichten garantieren. Vereinte Nationen beobachteten zuvor Botswana, Kolumbien und Indonesien

Die UN-Menschenrechtskommission lässt jetzt durch einen Sonderberichterstatter das deutsche Bildungssystem untersuchen. Dies hat die Nachrichtenagentur dpa erfahren. Mit dem weltweiten Pisa-Test waren Deutschland schwere Versäumnisse bei der Chancengleichheit in der Bildung und der Förderung von Migrantenkindern bescheinigt worden. Der Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz, der beim Büro des Hohen UN-Kommissars zur Wahrung der Menschenrechte in Genf angesiedelt ist, startet seine Inspektionsreise am 13. Februar.

Zuletzt waren im Auftrag der UN-Menschenrechtskommission Berichte über das Recht auf Bildung in den Staaten Botswana, Kolumbien und Indonesien vorgelegt worden. Muñoz wird bei seiner siebentägigen Reise durch Deutschland mit Ministerien, Behörden, Forschungsinstituten und Bildungsorganisationen sprechen sowie Schulen und Kindergärten besuchen.

Ermittelt werden soll, wie in Deutschland das Recht auf Bildung für alle Bevölkerungsschichten umgesetzt ist und welche Verbesserungen nach den schlechten Pisa-Ergebnissen verfolgt werden. Dabei soll besonders auf die Situation von Migrantenkindern sowie von Schülern aus einkommensschwachen Elternhäusern und auch Behinderten eingegangen werden.

Das Institut für Menschenrechte in Berlin bestätigte auf Anfrage, dass man derzeit eine spezielle Studie über die Umsetzung des Rechts auf Bildung in Deutschland erarbeite. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kündigte an, dass sie dem Kommissar kritische Materialien vorlegen werde. GEW-Schulsprecherin Marianne Demmer sagte: „Ich bin überzeugt, dass die frühe Sortierung unmündiger zehnjähriger Kinder in unterschiedlich angesehene und Lebenschancen bestimmende Schulformen Tag für Tag das Recht auf Bildung verletzt.“

Schon Muñoz’ Vorgängerin, Katarina Tomasevski, hatte in Deutschland gravierende Mängel beim Recht auf Bildung moniert. „Man kann nicht einfach Kinder mit Migrationshintergrund ausnehmen und argumentieren, dass nur deutschsprachige Kinder ein uneingeschränktes Recht auf Bildung haben.“ Tomasevski bezog das auf Regelungen in Ländern wie Hessen, Migrantenkinder nur unter der Bedingung einzuschulen, wenn sie ausreichend Deutsch gelernt haben. Die Position „Deutsch oder Einschulung“ verkenne, dass Kinder auch Menschen sind, hatte Tomasevski vergangenes Jahr in einem Interview mit der taz gesagt.

Die weltweiten Pisa-Tests haben gezeigt, dass der Bildungserfolg eines Kindes in keinem anderen vergleichbaren Industriestaat so abhängig von der sozialen Herkunft ist wie in Deutschland. Nach der innerdeutschen Pisa-Auswertung haben 15-jährige Oberschichtkinder (Akademiker/Führungskräfte) selbst bei gleich gemessenen Fähigkeiten in den Basiskompetenzen Lesen/Textverständnis und Mathematik bundesweit eine 4,01-mal größere Chance, aufs Gymnasium zu gehen, als gleichaltrige Facharbeiterkinder.

Der Vergleich der Daten aus Pisa 2000 mit denen aus 2003 zeigt zudem, dass der ohnehin hohe Wissensvorsprung von Kindern aus der Oberschicht (oberstes Quartil) gegenüber Gleichaltrigen aus der Unterschicht (unterstes Quartil) in mehreren Untersuchungsfeldern bundesweit weiter gestiegen ist. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich, wenn man die Pisa-Ergebnisse von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund vergleicht.

KARL-HEINZ REITH (dpa)