„Berlin ist die kreative Kapitale“

Nirgendwo in der Republik leben mehr Regisseure und Schauspieler als in der Hauptstadtregion, sagt Kirsten Niehuus, die Chefin der Filmförderung Berlin-Brandenburg. Sie habe Filme unterstützt, die das Deutschlandbild international verändern: Statt Neuschwanstein verbinde man damit Berlin

INTERVIEW HANNAH PILARCZYK

taz: Frau Niehuus, bei der Berlinale laufen 15 Filme, die vom Medienboard gefördert wurden. Sind das damit auch Berlin-Filme?

Kirsten Niehuus: Bei den Medienboard geförderten Berlinale-Filmen ist ein deutlicher Schwerpunkt von Berlin-Filmen festzustellen. Beispielsweise der in Neukölln gedrehte „Knallhart“ von Detlev Buck und Oskar Roehlers „Elementarteilchen“ sind Berlin-Filme. Henner Wincklers „Lucy“ ist ein weiterer Film der Berliner Schule. Es gibt praktisch keine Filme, die wir fördern, die nicht auch einen Bezug zu unserer Region haben.

Viele der Filmemacher kommen entweder aus Berlin oder wohnen mittlerweile in der Hauptstadtregion. Aber nicht alle Filme spielen hier. „Requiem“ spielt zum Beispiel in Bayern; der Regisseur Hans-Christian Schmid und die Produktionsfirma sind jedoch in Berlin ansässig. So haben die Filme einen sehr starken Bezug entweder über die Macher oder über die Themen, die sich in Berlin besser erzählen lassen als im Rest der Republik.

Neben der Filmförderung ist das Medienboard auch für das Standortmarketing der Medienregion Berlin-Brandenburg verantwortlich. Achten Sie darauf, welches Bild der Region in den von Ihnen geförderten Filmen transportiert wird? Oder reicht es schon, wenn ein Film hier angesiedelt ist?

Nein, das reicht heute sicherlich nicht mehr aus. Denn es gibt einen solchen Run von Produktionsfirmen, die hier gerne arbeiten wollen, auf die Hauptstadtregion. Wir haben festgestellt, dass sich die Zahl der Anträge auf Förderung in den vergangenen zwei Jahren fast verdoppelt hat. Alle Anträge auf Filmförderung beziehen sich auf Filme, die einen Bezug zur Region haben. Wir konnten aber nur knapp die Hälfte fördern, denn die Filme müssen eine besondere Qualität haben, die über den regionalen Bezug hinausgeht.

Der kreative Run auf die Hauptstadt – könnte es sein, dass der nicht so sehr an den guten Produktionsbedingungen vor Ort liegt, sondern vor allem an dem vielen Geld, mit dem das Medienboard locken kann? Die Blockbuster-Produktion „V wie Vendetta“ etwa soll allein wegen der großzügigen Förderung nach Babelsberg gekommen sein und sich gegen Osteuropa als Drehort entschieden haben.

Für dieses Projekt war die Kombination aus Förderung und Produktions-Facilities maßgeblich. „V wie Vendetta“ hat sich vor allem für Studio Babelsberg entschieden, weil es hier zum einen die größte Studiofläche in Europa und zum anderen der Standort eine Vielzahl professioneller Dienstleister aufweist. Geld allein ist es nicht, was die Filmemacher hierher lockt.

Was ist es dann, was die Filmregion Berlin-Brandenburg attraktiv macht? Als Ihre fürs Standortmarketing verantwortliche Kollegin Petra Müller ihren Job antrat, sprach sie noch von einem „desintegrierten Standort“. Was hat sich in den knapp zwei Jahren, in denen es das Medienboard jetzt gibt, verändert?

Beim früheren Filmboard lag der Schwerpunkt auf der Förderung. Das Aufgabengebiet des Medienboards ist breiter gefächert: Es verbindet Standortmarketing und Filmförderung. Mittlerweile hat sich auch der Fernsehstandort Berlin-Brandenburg zu einem der wichtigsten in Deutschland entwickelt. Dies gilt insbesondere für den TV-Event-Bereich. So wurden vom Medienboard auch die Eventfilme „Die Luftbrücke“, der Sat.1 die beste Einschaltquote aller Zeiten brachte, „Dresden“ oder „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ unterstützt.

Außerdem ist die Hauptstadtregion Deutschlands wichtigster Telenovela-Standort. Das schafft etwas, was die Stadt dringend gebraucht hat: nämlich ein Crossover zwischen dem Spielfilmbereich und den „industriellen Fertigungsweisen“ von Film. Die inspirieren sich gegenseitig und schaffen Arbeitsplätze in der Region.

Stichwort „Luftbrücke“: Ihre Fördergelder sind auch Steuergelder. Warum werden die für solchen extrem teuren, teilweise revisionistischen Kitsch ausgegeben?

Bei solchen besonders aufwändigen Produktionen, die hier in der Region angesiedelt sind, sind wir der Ansicht, dass wir die Ausführung möglich machen sollten. Bestimmte Posten übersteigen einfach die Finanzierungsmöglichkeiten der Sender. Meistens sind das ja historische Themen, von denen wir finden, dass es wichtig ist, diese im Fernsehen wiederzufinden – auch wenn man dann einwenden kann, dass diese Themen nicht in aller Tiefgründigkeit erforscht sind. Mir ist es lieber, die deutsche Nation guckt sich ein deutsches TV-Event an als ein amerikanisches B-Movie. Das halte ich für sehr viel sinnstiftender – und es schafft im Fall der „Luftbrücke“ eine höhere Identifikation mit der Stadt und mit Deutschland grundsätzlich. Außerdem hat Sat.1 einen großen Teil zur Finanzierung beigetragen. Das hat den Steuerzahler nur in einer ganz kleinen Marge belastet, hat aber hier in der Zeit eine Menge Arbeitsplätze geschaffen.

Wie genau profitiert die Region von den Fördergeldern, die Sie vergeben?

Im vergangenen Jahr floss von dem Fördergeld, das wir investiert haben, etwa das 3,25fache in die Region zurück. Wir haben 2005 insgesamt 21,3 Millionen Euro Fördergelder vergeben. Daraus sind 69,3 Millionen Euro generiert worden – die werden dann zur Bezahlung von Darstellern oder Regisseuren verwendet, aber auch für Hotels und Handwerker. Das Geld bleibt also nicht nur in der Filmbranche, sondern geht auch in andere Gewerbe in der Region.

Innerhalb Deutschlands ist Berlin die Nummer drei unter den Filmstädten hinter München und Hamburg, gemessen am Produktionsvolumen. Wollen Sie das ändern?

Was die Kinoproduktion – also quasi die Königsklasse – angeht, sind wir deutlich die Nummer eins: Die meisten Kino-Drehtage haben in den vergangenen Jahren in Berlin stattgefunden. Als Fernsehstandort holen wir gerade mächtig auf – zum Beispiel mit Formaten wie Telenovelas. Aber das wird eine längerfristige Entwicklung sein, die nicht nur durch Geld forciert werden kann.

Was macht die Attraktivität des Filmstandorts aus, unabhängig von finanzieller Förderung?

Die perfekte Mischung aus kreativem Potenzial und hoch professioneller technischer Infrastruktur. So bietet die Hauptstadtregion zum Beispiel einmalige Studio-Facilities und hervorragende Filmtechniker. Darüber hinaus leben und arbeiten so viele Autoren, Regisseure und Schauspieler hier, dass man zu Recht von der kreativen Kapitale sprechen kann.

Dies schlägt sich natürlich auch in den Themen nieder. Das deutsche, aber auch das internationale Publikum scheint großes Interesse an Filmen zu haben, die in Berlin spielen und historische oder aktuelle gesellschaftsrelevante Themen erzählen, von „Taking Sides – Der Fall Furtwängler“ über „Good Bye, Lenin!“ und „Die fetten Jahre sind vorbei“ bis „Sommer vorm Balkon“. Die Stadt ist in den Nachrichten weltweit präsent. Da hat sich in den vergangenen zehn Jahren sozusagen die Postkarte, die um die Welt geschickt wird, wie Deutschland aussieht, massiv geändert. Das ist nicht mehr Neuschwanstein. Das ist Berlin.