Berufsprotestierer wider Willen

Herbert Burmeister ist der Bürgermeister von Schulzendorf – und gegen den Ausbau des Flughafens Schönefeld. Denn direkt vor seiner Gemeinde soll eine Startbahn verlaufen. Jetzt kämpft Burmeister vor Gericht dafür, dem Ort die Stille zu erhalten

von ULRICH SCHULTE

Still ist es, als der Bürgermeister durch den alten Dorfkern von Schulzendorf geht. Seine Schritte knirschen im Schnee, ein Vogel zwitschert, nur ab und zu fährt ein Auto am Jugendstil-Gutshaus, der kleinen Kirche und den liebevoll restaurierten Gesindehäusern vorbei. Gefühlt ist der Flughafen Schönefeld an diesem Abend weit weg vom Dorfanger in Schulzendorf. Fern rauscht ein Flugzeug, nach Tegel wahrscheinlich. Es ist viel zu hoch.

Herbert Burmeister, 57 Jahre alt und Bürgermeister, kämpft dafür, dass seiner Gemeinde die Stille erhalten bleibt. Schulzendorf hat 7.400 Einwohner, es liegt südöstlich des Flughafens, im Moment stehen nur wenige Häuser in der Einflugschneise. Doch wenn das Bundesverwaltungsgericht den Ausbau erlaubt, beginnt die neue Südstartbahn gerade mal drei Kilometer vor dem Dorfanger, auf dem Burmeister stolz auf die neogotische Kirche zeigt. Die Bürger haben sie zum Kulturzentrum umgebaut. Im Minutentakt würde die glasklare Luft über der Kirche mit einem dumpfen Grollen zerbrechen, der Turbinenlärm wäre wie ein Schlag in die Magengrube. „Was das bedeutet, wenn hier irgendwann mal 40 Millionen Passagiere im Jahr abgefertigt werden, das kann sich keiner vorstellen.“

Wie ein Berufsprotestierer sieht Burmeister nicht aus, auch wenn das in diesen Tagen seine Rolle ist. Sein Gesicht ist kantig, die Brille unauffällig, Lachfältchen drängen sich in den Augenwinkeln. Nur im dichten, silbergrauen Haar sträubt sich links über der Stirn ein Wirbel etwas rebellisch in alle Richtungen. Burmeister ist der Vorsitzende der Schutzgemeinschaft der Gemeinden, die gegen den Flughafenausbau klagen. Deshalb wird Burmeister auch heute wieder der Einladung mit dem Bundesadler auf Büttenpapier folgen und nach Leipzig zur mündlichen Verhandlung fahren. Die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden haben eigens dafür eine Fahrgemeinschaft gebildet.

Schon jetzt ist der Flughafen im nördlichen Teil Schulzendorfs ständig präsent. Die AnwohnerInnen leben in der so genannten 62-Dezibel-Zone, ein juristischer Wert, der den durchschnittlichen Dauerschall angibt. Anders gesagt: Rechnet man den Lärm der Flugzeuge auf 24 Stunden um, läuft im Leben der AnwohnerInnen ständig ein Fernseher in Zimmerlautstärke. „Natürlich ist das Einzelereignis entscheidend. Für den, der nachts stündlich durch einen Flieger geweckt wird, fällt der Nachtschlaf aus“, sagt Burmeister. Ein Überflug so kurz vor dem Flughafen ist ein Ereignis von brachialer Gewalt, das 100 Dezibel über die Häuser entlädt. So laut rattert ein Presslufthammer, einen Meter vom Ohr entfernt.

Wenn die Düsenjets über der Müllkippe von Schulzendorf einschwenken, „sind sie so tief, dass man dem Piloten in die Kanzel schauen kann“, sagt Burmeister. Fluglärm kann krank machen, das haben viele Studien nachgewiesen, und selbst seine Abwesenheit kann dann Stress produzieren. „Auch in den Ruhepausen wartet man unwillkürlich auf den nächsten Flieger.“ Das Ereignis, das man fürchtet, wird zum bestimmenden Thema.

So wie es aussieht, werden nur zwei Eigentümer in der Gemeinde eine Entschädigung bekommen. Ein paar tausend Euro. Dafür wird ihr Garten zu einer Sperrzone, die tunlichst nur mit Ohrenstöpseln zu betreten ist. „Lärmschutzfenster sind bei unserer Bausubstanz aus den 30er-Jahren witzlos“, sagt Burmeister. Der Schall sucht sich seinen Weg.

Burmeister jongliert mit den bürokratischen Wortungetümen der Flughafenhistorie wie mit bunten Bällen. Er weiß, wie ein „Planfeststellungsverfahren“ funktioniert oder was die „Flughafenumfeldentwicklungsgesellschaft“ will, er hat Studien und Artikel zum Flughafen gesammelt. 1993 wählten die Schulzendorfer ihn, den Linkspartei-Politiker, zum ersten Mal ins Bürgermeisteramt. 1996 entschied die Bundes- und Landespolitik, den neuen Großflughafen in Schönefeld zu bauen, und lud ihm das wichtigste Thema seiner Karriere auf. Rücken an Rücken stehen die Schönefeld-Ordner in dem Aktenkarussell in seinem Büro.

Und auch wenn der Großflughafen bisher nur eine Vision ist, die 2011 endgültig Wirklichkeit werden soll, hat sie die Gemeinden der Umgebung in den vergangenen Jahren beherrscht. Als er seinen Job antrat, schwebte dem Bürgermeister ein lebendiges Ortszentrum vor, mit Wohnungen, Läden und Cafés, „eben mit Leben drum herum“. An die Sätze, mit denen die gemeinsame Landesplanung Berlin-Brandenburg das Vorhaben ablehnte, erinnert er sich noch genau. Menschenwürdige Lebensbedingungen könne sie in dem Gebiet nach dem Ausbau nicht mehr garantieren, schrieb die Behörde, die über die flughafenwichtigen Gebiete der Umgebung wacht. Jetzt plant Burmeister ein Gewerbegebiet. Auch über der Idee, neben dem Dorfanger ein Angebot für Touristen zu schaffen, mit Heimatzentrum, Goldschmied und Ortschronist, schwebt der Schatten des Großflughafens.

An das Argument der Politiker, der Flughafen sei eine Jobmaschine, die 40.000 Arbeitsplätze schaffe, glaubt der Bürgermeister nicht. In Frankfurt und München, prosperierenden Regionen, hätten die Airports die Entwicklung verstärkt, als Sahnehäubchen, sozusagen, sagt Burmeister. „Aber hier baut man den Flughafen in eine Brache und denkt, alles wächst wie verrückt.“ Dem Sahnehäubchen fehlt der Kakao.

Zudem besteht Schulzendorf fast nur aus Wohngebieten. In denen hat die Bürgerinitiative den Protest organisiert. „Wenn es ganz schlimm kommt, wenn das Gericht den Ausbau ohne Abstriche genehmigt, dann schließe ich Kurzschlusshandlungen nicht aus“, sagt Burmeister. Das klingt in dem Besprechungsraum der Turnhalle, in das der Bürgermeister nach dem Dorfanger-Spaziergang geladen hat, einigermaßen absurd. In der Halle probt die örtliche Cheerleader-Gruppe, oben sind Kinderhort-Räume. An Garagentoren kleben die gelben Protestschilder der Bürgerinitiative.

Schenkt man Burmeister Glauben, trügt die Idylle. „Die Menschen haben Angst. Angst um ihre Gesundheit, Angst um ihren Besitz. Sie wissen, dass sie nicht umziehen können.“ Heute wird Burmeister wieder versuchen, ihnen die Angst zu nehmen, im Gerichtssaal in der ersten Reihe sitzen und ab und zu ein paar Worte mit dem Anwalt wechseln. „Ich habe die Hoffnung, dass die Vernunft siegt.“