Bloß kein Dumping!

Die Europaabgeordneten beugen sich den Stammtischparolen gegen die Öffnung des Dienstleistungsmarktes

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Das schönste Beispiel, mit dem im Europaparlament für den Kompromiss bei der Dienstleistungsrichtlinie geworben wurde, ist das vom Busfahrer. Ein belgischer Busunternehmer, so erklärte die sozialistische Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt stolz, dürfe künftig mit dem eigenen Gefährt in Großbritannien Touristen kutschieren. Auch sein Führerschein werde dort anerkannt. Die rechte Fahrspur hingegen, wie zu Hause üblich, dürfe er nicht benutzen. Er müsse sich an den auf der Insel geltenden Linksverkehr halten.

Das Beispiel ist so absurd wie vieles in den 23 Änderungsanträgen, auf die sich eine große Koalition aus Konservativen und Sozialisten in Brüssel am Dienstagabend verständigte. Natürlich hätte auch nach dem ursprünglich von der Kommission befürworteten Herkunftsland-Prinzip der belgische Busunternehmer nicht als Geisterfahrer die Insel unsicher machen dürfen. Doch die Schauergeschichten um das neue Gesetz haben sich so weit verselbständigt, dass die Politiker in diesem Geisterdialog mit dem Stammtisch offensichtlich den Faden verloren haben.

Französische Journalisten wollten von Gebhardt vor allem wissen, ob der polnische Klempner nach der neuen Gesetzeslage weiter in Frankreich sein Unwesen treiben dürfe. Die in Frankreich geborene deutsche Abgeordnete betonte zwar mehrfach, sie finde die Klempner-Polemik abgeschmackt. Das sei nun einmal das Einzige, was die Leser zu Hause interessiere, antworteten die Presseleute. Darauf gab Gebhardt zu: Der selbständige polnische Handwerker darf weiterhin zu Dumpingpreisen in Paris die Klospülung reparieren. „In jedem Staat der EU können Freiberufler selber entscheiden, welche Preise sie verlangen“, räumte die Abgeordnete ein. Es klang irgendwie bedauernd.

Allerdings gelte für angestellte Klempner auch in Zukunft die Entsenderichtlinie. Sie legt fest, dass Mitarbeiter ausländischer Firmen nach dem Mindestlohn im Entsendeland, also Frankreich, bezahlt werden und die dortigen arbeitsrechtlichen Bedingungen gelten. Lohn- und Sozialdumping sei damit ausgeschlossen.

Wenn also der Unternehmer aus Osteuropa seine günstigeren Ausgangsbedingungen anderswo nicht nutzen dürfe, wozu brauche man dann überhaupt eine neue Richtlinie, wollte eine Journalistin aus Polen wissen. Auch dafür hatte Gebhardt eine Antwort parat. Der Klempner dürfe künftig sein eigenes Fahrzeug in Frankreich benutzen und Materialien aus Polen verwenden. Bislang galt dort die Regel, dass Fahrzeuge von ausländischen Dienstleistern im Land selber zugelassen sein müssen.

Die Streitigkeiten bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof, die durch die Richtlinie hätten überflüssig werden sollen, kann man sich ausmalen. Der geänderte Paragraf lautet: „Mitgliedsstaaten dürfen die Dienstleistungsfreiheit nicht dadurch einschränken, dass sie Vorschriften über Ausstattung und Material machen – es sei denn, sie sind für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz erforderlich.“ An anderer Stelle wird verlangt, die öffentliche Ordnung des Gastlandes dürfte nicht beeinträchtigt werden. Für jede halbwegs findige Verwaltung bietet das unzählige Anhaltspunkte, den straßentauglichen, aber klapprigen polnischen Laster aus dem Verkehr zu ziehen.

Zwei Jahre lang haben Politiker und Experten versucht, in der Dienstleistungsrichtlinie eine Balance zwischen mehr Markt und akzeptablen Leistungsstandards zu erreichen und gleichzeitig mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Doch dieses Ziel ist angesichts der zunehmend antieuropäischen Stimmung und der Sehnsucht nach einer Stärkung nationaler Besonderheiten in den Hintergrund getreten. Der Zorn der Bürger auf Europa soll besänftigt werden, auch wenn dabei vom ursprünglichen Anliegen, bürokratische Schikanen abzubauen und den Dienstleistungs-Export anzukurbeln, nichts mehr übrig bleibt.

Die nun von einer großen Koalition aus Konservativen und Sozialisten ausgehandelte Fassung liest sich wie eine Antwort an die Protestbewegung: Nein, diese Richtlinie hebelt nicht das nationale Strafrecht aus. Nein, sie gilt nicht für Kinderbetreuung, Zeitarbeit oder sozialen Wohnungsbau. Die einzige Verbesserung gegenüber der jetzigen Situation besteht darin, dass jedes Land binnen zwei Jahren eine zentrale Anlaufstelle für grenzüberschreitende Fragen schaffen muss. Deren Mitarbeiter werden alle Hände voll zu tun bekommen.