zwischen den rillen
: Aus dem Tee steigt die Erinnerung

Musik für die Samisdatgemeinde der Melancholiker: Belle & Sebastians wunderbares neues Album „The Life Pursuit“

Pop hören heißt zu glauben. Um diese Erkenntnis gibt es kein Drumrum. Neben all den Dingen, die Pop auch sein kann, ist er eben auch dies: religiöses Leben in einer säkularen Welt. Draht nach oben wie unten.

In Anbetracht der Tatsache, was für eine fanatische Glaubensgemeinde die schottische Band Belle & Sebastian im Laufe der vergangenen zehn Jahre um sich gesammelt hat, verwundert es dann auch wenig, wie nahtlos Pop und Religion sich auf ihrem neuen Album „The Life Pursuit“ verbinden: „My Damascan Road’s my transistor radio“ lässt Stuart Murdoch, das Mastermind der Band, die Protagonistin seines Songs „Act Of The Apostle’s, Part Two“ sagen. Damit hat man das Konzept der Band sehr schön zusammengefasst: das Transistorradio als Symbol für eine untergegangene (und selbstverständlich viel bessere) Epoche des Pop, an die sich zu erinnern an sie zu glauben bedeutet. Das sind Belle & Sebastian in a nutshell.

So funktioniert diese Band seit ihrem ersten Auftauchen in den mittleren Neunzigern (damals sollen sie ja auch bevorzugt in Kirchen aufgetreten sein, Murdoch sagt in Interviews, dass er bis heute im Kirchenchor singt). Merkwürdig aus der Zeit gefallen kam einem dieser Kammerpop vor, ein Referenzsystem zwischen Nick Drake und Burt Bararach war damals eher die Ausnahme. All die bizarren Geschichten rund um die Band – dass die Cellistin der Gruppe autistisch sei und nur über ihr Instrument kommunizieren könne etwa – taten ein Übriges, den Sonderstatus der Band auch dann unangefochten zu lassen, als in ihrem Windschatten auf einmal eine ganze Reihe ähnlicher Gruppen auftauchte und sich unter dem Slogan „Quiet Is The New Loud“ ein Trend auftat. Und Belle & Sebastian zum anderen eine Reihe höchst durchschnittlicher Platten veröffentlichten.

Der Trend ist mittlerweile den Weg alles Irdischen gegangen, und seit das autistische Rehlein Isobel Campell die Band verlassen hat (gerade hat sie mit Mark Lanegan eine Platte eingespielt), geht es auch ästhetisch wieder aufwärts. Ja, wenn man sich „The Life Pursuit“ so anhört, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als hätte auch hier der musikalische Fortschritt Einzug gehalten. Belle & Sebastian waren schon immer eine Band für Teetrinker. Doch die Erinnerungen, die sie nun aus ihrer Tasse aufsteigen lassen, haben nicht nur ihr stilistisches Spektrum erweitert, wenn die Protagonistin von „For The Price Of A Cup Of Tea“ etwa Trost in „soul black vinyl“ sucht, das Drum-Machine-Geplocker von „Act Of The Apostle’s“ ist direkt von dem Soulorganisten Timmy Thomas übernommen. Sie sind auch der Gegenwart um einiges näher gerückt: Ein Stück wie „White Collar Boy“ mit seinem Schaffelrhythmus ist ein durch nichts maskierter Glamrock-Nachbau. Soll noch einer sagen, für diese Band zählen nur die Sechziger: Damit wären wir im Jahre 1973! Das ist ganz wunderbar und eben gar nicht so aus der Zeit gefallen: keine Vergangenheit ohne Gegenwart, die sie zu etwas Vergangenem macht.

Eingebettet in diesen Spiralen der Erinnerung breitet Murdoch seine Protagonisten und ihre vom Gefühl des Unverstandenseins umwehten Geschichten aus. Das Mädchen mit der kranken Mutter, dem in „Act Of The Apostle“ Cat Stevens den Weg zum Glauben weist. Die komplizierte Eifersuchtsgeschichte eines Groupies in „Dress You Up“. Das enigmatische „Another Sunny Day“, in dem es irgendwie um Fußball und gebrochene Herzen geht. Glauben heißt immer auch entschlüsseln. Schon gar im Indierock, dieser Geistesaristokratie der Bescheidwissenden, dieser Samisdatgemeinde der Melancholie, dieser Kirche der zerbrochenen Schönheit.

TOBIAS RAPP

Belle & Sebastian: „The Life Pursuit“ (Rough Trade)