„Ich bin ein Gegner von Dogmen“

Am „Montag kommen die Fenster“. Natürlich die falschen. Was keine Tragödie ist. Die liegt eher darin, dass nichts im Leben von Nina und Frieder zur Tragödie werden kann. Die beiden sind sozusagen auch seelenlandschaftlich dem Mittelgebirge verhaftet, dem Schauplatz von Ulrich Köhlers Film

INTERVIEW BERT REBHANDL

taz: Ulrich Köhler, „Montag kommen die Fenster“ ist Ihr zweiter Film – eine Beziehungsgeschichte. Können Sie die Entstehung skizzieren?

Ulrich Köhler: Die Idee ist fast so alt wie „Bungalow“. Der Anlass war, dass eine gute Freundin, die Künstlerin Jeanne Faust, ein Kind bekommen und das fotografisch dokumentiert hat. Ich habe zu der Zeit ein sehr hedonistisches Studentenleben geführt und begann nun, Bücher von Frauen zu lesen, die ich im Schrank meiner Mutter fand: Marlene Haushofer, Ingeborg Bachmann, Gisela Elsner. Dazu kommt Fontane, den ich sehr liebe. Ausgangspunkt für meine Filme ist immer eine Lebenswelt. So kam ich zu diesem Paar, das den klassischen bürgerlichen Schemata nicht ganz entspricht. Zum Beispiel, weil die Frau arbeitet, der Mann gerade nicht.

Im Film steht zuerst eher Nina (Isabelle Menke) im Zentrum, später bekommt der Mann Marten (Hans-Joachim Wagner) mehr Profil.

Ich wollte einen Perspektivwechsel auf den Mann – ein Experiment, das mich rein formal interessiert hat. Da war „Madame Bovary“ eine Inspiration. Ich fand auch Angela Schanelecs Film „Marseille“ ganz toll, in dem die Hauptfigur eine Zeit lang verschwindet.

Sie haben in Kassel gedreht – keine sehr attraktive Umgebung.

Ich arbeite mich allmählich zu den Metropolen in Deutschland vor. „Bungalow“ habe ich in Marburg gedreht. Kassel kannte ich von der documenta. Ursprünglich hatte mich die Stadt mit ihrer Wiederaufbauarchitektur noch stärker interessiert. Das kommt im fertigen Film nicht mehr so zur Geltung. Insgesamt glaube ich, dass ich landschaftlich dem Mittelgebirge eher verhaftet bin als dem norddeutschen Flachland.

Der Mittelteil von „Montag kommen die Fenster“ spielt in einem Hotel im Wald – ein außergewöhnlicher Ort mit einer ganz besonderen Stimmung.

Es war eine bundesweite Suchaktion. Ich wollte ursprünglich von der Neueröffnung eines Tennishotels erzählen. Aber Tennis ist in Deutschland gerade stark auf dem absteigenden Ast. Überall werden stattdessen Badmintonplätze oder Reithallen errichtet. Dann fanden wir dieses Hotel im Harz!

Wofür steht der Tennisspieler, auf den Nina trifft?

Diese Figur hat mich interessiert, weil Profisportler durch das frühe Karriereende per definitionem einen Übergang bewältigen müssen, den ich als Spiegel für die Identitätskrise der Hauptfigur nehmen konnte.

Ilie Năstase, der extravagante rumänische Tennis-Star aus den Siebzigerjahren, spielt in Ihrem Film nun mehr oder weniger sich selbst.

Năstase hat in den Neunzigerjahren einen kurzen Ausflug in die Politik gemacht. Er wollte Bürgermeister von Bukarest werden und ist damit gescheitert. Ich traf ihn bei einem Altherrenturnier in London, wo er gegen Mats Wilander und Guillermo Vilas antrat.

Wie haben Sie ihn auf die Rolle vorbereitet? Er hat ja auch eine sehr intime Szene mit Nina.

Ich konnte ihn nicht wirklich casten, es war im Prinzip klar, dass ich ihn will. Er hat seinen Drehbuchausschnitt bekommen, zeigte aber kein großes Interesse daran. Seine Selbstdarstellerqualitäten sind beträchtlich, das war ein Vorteil. Es war dann ein langsames Vorarbeiten – wir hatten fünf Drehtage mit ihm – zu den Szenen, in denen er eher als Schauspieler gefragt war. Er wurde von Take zu Take besser.

Wonach haben Sie die Hauptdarsteller ausgewählt?

Ich glaube, bei allen Regisseuren gibt es eine Angst, dass man zu stark vorgeprägte Darsteller hat. Da gab es bei Hans-Joachim Wagner wegen „Sie haben Knut“ eine Zurückhaltung, die aber grundlos war. Als ich das Band von Isabelle Menke gesehen habe, war das vorentscheidend. Dass es teilweise Theaterschauspieler sind, ist keine bewusste Entscheidung, aber ich wollte Leute, die man nicht sofort zuordnen kann.

Sie bevorzugen offensichtlich eine eher moderne Filmform: Sie sparen aus, erzählen indirekt, die Komik ist sehr lakonisch.

Ich bin ein Gegner von Dogmen. Bei dem Film wollte ich ursprünglich viel spontaner drehen, „mit meinem System brechen“. Ich habe aber festgestellt, dass man doch nicht so weit von dem wegkommen kann, was man selbst ist. Technisch ist „Montag kommen die Fenster“ wesentlich einfacher als „Bungalow“, wir konnten weniger Licht setzen, hatten ein kleineres Team, es gibt weniger Tiefenschärfe. Ich wollte eine höhere Schnittfrequenz, aber ich glaube, ich inszeniere eher wie ein Theaterregisseur, denke nicht so sehr an Auflösungen als an Ausschnitte.

Gibt es Vorbilder im internationalen Kino?

Der thailändische Film „Blissfully Yours“ von Apichatpong Weerasethakul war für mich eine Entdeckung. Ich bewundere ihn auch deswegen, weil er so undogmatisch ist. Neben „Turning Gate“ von Hong Sang-soo ist das der Film, der mich zuletzt am meisten beeindruckt hat. Abbas Kiarostami ist aber der Allerwichtigste.

Sie kommen von einer Kunstausbildung zum Film.

Ich war auf einer Kunsthochschule in der Bretagne, hatte aber dann in Paris viele Kinoerfahrungen. Besonders wichtig waren dabei die Seminare von Jean Douchet.

Was halten Sie vom dem Etikett einer „Berliner Schule“ im deutschen Film?

Angela Schanelec, Thomas Arslan und Christian Petzold waren an der dffb und leben auch jetzt in der Stadt. Für sie hat der Begriff „Berliner Schule“ von daher einen Sinn, zwischen ihnen gibt es aber ebenso viele Unterschiede wie Gemeinsamkeiten. Es gibt aber objektiv Kontakte und Freundschaften, ich zähle noch Christoph Hochhäusler und Benjamin Heisenberg dazu. Wir sehen uns als unterschiedliche Filmemacher und sind sicher nicht so stark von dem deutschen Kino der Achtziger- und Neunzigerjahre geprägt, sondern international. Ich war erst sehr zurückhaltend, inzwischen sehe ich pragmatische Vorteile. Wir haben alle keine wirtschaftlich interessanten Filme gemacht. Die Gefahr ist, dass Dogmen unterstellt werden, wo die Arbeitsweisen doch sehr verschieden sind.

Worum geht es in dem Projekt, das Sie gern als nächstes realisieren würden?

Es geht um in Afrika hängen gebliebene Menschen aus der westlichen Welt. Man kann als Weißer niemals Teil einer afrikanischen Gesellschaft werden.