Mit dem Ausrufezeichen höchster Dringlichkeit

Viel Aufmerksamkeit für viel Gutmenschentümelei – und beschämend wenig Provokation: Jan Henrik Stahlbergs Entführungsfantasie „Bye, Bye Berlusconi!“ (Panorama)

Bei Terrorverdacht ist die Öffentlichkeit schnell wach. Das war 1997 so, als Christoph Schlingensief auf der documenta verhaftet wurde, weil er eine Aktion mit dem Plakat „Tötet Kohl!“ angekündigt hatte. Und auch der Regisseur Philip Gröning kam 1992 mit seinem Film über ein gescheitertes Kohl-Attentat zu einiger Aufmerksamkeit – immerhin wurde „Die Terroristen!“ in Locarno mit dem Bronzenen Leoparden ausgezeichnet. Danach verschwand der Film in der öffentlich-rechtlichen Versenkung des SWF.

In einem Punkt liegt Jan Henrik Stahlbergs „Bye, Bye Berlusconi!“ auf dieser Linie. Wie seine Vorgänger benutzt er ein Ausrufezeichen im Titel, um die Dringlichkeit seines Anliegens herauszustellen. Gleichzeitig hat sich der Film schon im Vorfeld mit prominenten Fürsprechern wie dem Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo abgesichert: Wer würde da zweifeln, dass es mit der Geschichte um den entführten italienischen Ministerpräsidenten, dem in einem Volksgefängnis der Prozess gemacht werden soll, nicht doch seine künstlerische, schlimmstenfalls moralische oder gar politische Richtigkeit hat?

Zumal es sich ohnehin um Fiktion handelt. Vorsichtig spielt Stahlberg über Bande: Ein Filmteam will in Genua die Entführung Berlusconis als rohes Gegenwartsdrama drehen, um die italienische Bevölkerung über die Machenschaften ihres Staatsoberhauptes aufzuklären. Weil man jedoch Ärger mit dem realen Regenten befürchtet, verlegt Produzent Roberto (Franco Leo) das Geschehen kurzerhand auf den Spielplatz der Satire, nennt Berlusconi in Micky Lau um und macht die Terroristen zur Hundekacker-Bande.

Damit aber der agitatorische Zuschnitt von „Bye, Bye Berlusconi!“ weiterhin kenntlich bleibt, wird das Filmteam von Sabotagen heimgesucht, wird es von dunklen Schergen auf Landstraßen mit dem Auto abgedrängt und muss schließlich im morgendlichen Nebelgrauen vor der Polizei fliehen. Die Bilder wirken: Wo eben noch bauerntheaterhafter Klamauk war, sieht man nun die Staatsmacht einschreiten. Es ist kein Zufall, dass der Film mit TV-Aufnahmen von prügelnden Einsatztruppen auf dem G-8-Gipfel beginnt, und dass der Schluss – zerfledderte Koffer, eine aufgeregt durch die Berge stolpernde Crew – an die Ikonografie von Deportationen erinnert. Wehret den Anfängen!

Dabei bereitet „Bye, Bye Berlusconi!“ nicht bloß deshalb Probleme, weil er historischen Schrecken, Widerstandsfantasien und irgendwie linksradikale Gegenwartsohnmacht sorglos ineinander faltet. Was nervt, ist die unentwegte Selbstversicherung der guten Tat: Einerseits soll alles an „Bye, Bye Berlusconi!“ bloß Spiel sein, andererseits kokettiert Stahlberg, der zuvor für Marcus Mittermeiers preußisch-deutsche Benimm-Groteske „Muxmäuschenstill“ das Drehbuch schrieb und auch die Hauptrolle spielte, damit, dass diese Scheinhaftigkeit im heutigen Italien schon ein Verbrechen sein könnte. Er beschwört Zensur, belegt wird sie nicht.

Statt auf Analyse setzt der Film auf die Sogkraft des Verdachts. Wieder und wieder wird am revolutionären Küchentisch diskutiert, dass die Sauereien des original gangster Berlusconi unbedingt zu bestrafen sind. Doch als gestanzte Thesen vortragende Figuren bleiben die Terroristen ziemlich blass, während das Berlusconi-Double (Maurizio Antonioni) quietschvergnügt noch in der Zelle seine Il-Premio-Show abzieht. Wenn sich Stahlberg doch einmal für den Druck interessiert, den die Verhältnisse auf seine Protagonisten ausüben, lässt er sie vor der nervös geschwenkten Kamera mit Händen und Füßen italienern. Dario Fo wird darüber lachen, Berlusconi vielleicht auch. So viel Aufmerksamkeit für so beschämend wenig Provokation hätte er sich so kurz vor der Wahl kaum wünschen können. HARALD FRICKE

„Bye, Bye Berlusconi!“ Regie: Jan Henrik Stahlberg. 86 Min.