kleine heinekunde (2)
: Das Vaterland

Das Land, das er so verehrt, will ihn nicht, doch auch im Exil, in Paris, wird Heinrich Heine Deutschland nicht los

Große Liebe, tragisch. Bis zur Entwürdigung versucht Heine als junger Mann, ein guter Deutscher zu sein. Er hat alles getan, war Burschenschafter, ist Doktor beider Rechte, wollte Karriere im preußischen Staatsdienst machen. Der bissigste, unbeherrschteste aller deutschen Schriftsteller hatte den Plan, sein Land als Diplomat zu vertreten, der mit allen Verkrachte suchte die höheren Weihen des idealen Vaterlandes als deutscher Professor. Aus Harry Heine war Johann Christian Heinrich Heine geworden.

Aber er ist und bleibt ein Getaufter, ein Parvenü, ein Jud’, er will weg. „Minder die Lust des Wanderns als die Qual persönlicher Verhältnisse (z. B. der nie abzuwaschende Jude) treibt mich von hinnen“, gesteht er 1826 einem jüdischen Freund. Das Land, das Heine so verehrt, will ihn nicht. Aus seiner Burschenschaft wird er unter einem Vorwand ausgeschlossen, und auch die Taufe verhilft ihm nicht zu einem Staatsposten. Noch dazu hat er sich mit Freunden und Familie überworfen, besonders mit dem reichen Onkel, den er rotzig beleidigt: „Das beste an Ihnen ist, daß sie meinen Namen tragen.“ Der Onkel wird ihm trotzdem treu eine jährliche Unterstützung zahlen, bis zu seinem Tod.

Vaterland und Vaterfiguren: Rebellion. Als er Goethe besucht, den er verehrt, geht es mit ihm durch. Kaum interessiert, fragt der alte Herr, woran er im Moment arbeite. „Ich schreibe einen Faust“, antwortet der junge Dichter. Goethe schmeißt ihn raus. Deutschland ist verbrannte Erde. „Alles was deutsch ist, ist mir zuwider“, schreibt Heine 1822 an einen Freund. „Alles Deutsche wirkt auf mich wie ein Brechpulver. Die deutsche Sprache zerreißt meine Ohren. Die eignen Gedichte ekeln mich zuweilen an, wenn ich sehe, daß sie auf deutsch geschrieben sind.“ Exil.

Aber auch in Paris wird er Deutschland nicht los. „Fliehen wäre leicht, wenn man nicht das Vaterland an den Schuhsolen mit sich schleppte!“ Am Schaufenster der deutschen Idylle drückt Heine seine Nase platt. Man liebt seine Gedichte, aber nie ihren Autor, der seinen eigenen Gefühlen nicht traut und bei dem hehre Sentimente unversehens ins Ironische kippen. Seine tragische Lyrik ist voller gebrochener Versprechen und gebrochener Herzen, voller enttäuschter Hoffnungen.

In sentimentalen Momenten identifiziert er alles, was heimatlich ist, mit seiner alten Mutter. Das berühmte „Denk ich an Deutschland in der Nacht / So bin ich um den Schlaf gebracht“ kommt schließlich aus einem Gedicht an sie, die er seit zwölf Jahren nicht gesehen hat und der er zeitlebens zärtliche Briefe schreibt.

Er ist ein Gefangener zwischen Sehnsucht und Rebellion, Muttersprache und Vaterland.

PHLIPP BLOM