„Das ist ein Männerfilm“

Oskar Roehler, Regisseur und Drehbuchautor von „Elementarteilchen“ (Wettbewerb), über die Erblast der 68er, Identifikation mit seinen Figuren, monströse Mütter und Sexszenen im Swinger-Club

INTERVIEWKATRIN BETTINA MÜLLER

taz: Können Sie sich noch erinnern, in welcher Situation Sie Michel Houellebecqs Roman „Elementarteilchen“ gelesen haben?

Oskar Roehler: Das war eine echte Krisensituation: keine Wohnung, ein kleiner Hund zu betreuen, und meine Freundin und ich hatten unsere letzte schlimme Krise. Da kam der Roman auf den Tisch, und es passierte etwas, das selten ist. Ich habe die ganze Lebenshaltung, die da drinsteckt, wie eine Offenbarung in mich reingesogen, völlig kritiklos. Viele Dinge darin sind genau so geschildert, wie du das selbst auch gern auf den Punkt gebracht hättest, der Roman funktioniert wie ein soziokultureller Leitfaden. Aber dieses erste Leseerlebnis hat mit dem Produkt des Films wenig zu tun.

Die Rezeption des Romans geriet in Deutschland in eine Bewegung, der 68er-Generation eine Rechnung für ihren libertären Ideale zu präsentieren. Dabei spielte die Behauptung eine Rolle, dass die folgende Generation dafür bezahlen musste. War das ein Motiv für die Verfilmung?

Auf jeden Fall. Ich bin auch ein Opfer. (lacht) Sinnlich und hautnah habe ich das erlebt. Es gibt in jedem Leben Initiationspunkte, die das eigene Sozialverhalten bestimmen. In meiner Generation, ich bin 59 geboren, sind eine ganze Menge Leute traumatisiert. Wenn man schlecht drauf ist, macht man den Vorwurf immer wieder seinen Eltern und sagt, das waren alles Arschlöcher. Aber wenn du genauer nachdenkst, findest du ja auch gesellschaftliche Gründe für den Egotrip dieser Generation.

Es gibt in dem Film eine Mutter, der vorgeworfen wird, ihre beiden Söhne für die eigene Selbstverwirklichung verlassen zu haben. Nina Hoss spielt sie. Sie tritt auf, und man glaubt es kaum. Das könnte auch ein Alien sein, so unvermittelt kommen ihre Sätze.

Die Söhne bringen ihr von der ersten Sekunde an Abneigung entgegen, die muss sie versuchen zu überspielen. Das ist ja das Monströse an der Mutter, dass sie in der Lage ist, das zu überspielen. Das ist auch eine Verweigerung jeden Schuldeingeständnisses. Die Mutter taucht auf wie eine Fremde und verschwindet wieder. Das ist der Standard, den ich auch erlebt habe.

In dem Roman folgen die Figuren sehr theoretischen Konstruktionen. War es nicht ein Problem, ihnen Glaubwürdigkeit auf der Leinwand zu verleihen?

Das ist scheißschwer gewesen. Das hat sich nach der ersten Euphorie für mich auch als Manko des Romans herausgestellt. Die Kaltschnäuzigkeit und der Trotz, mit der sich der Roman vom Leben verabschiedet, hat eine extreme Beliebigkeit zur Folge. Der Roman betrachtet all dieses Scheitern relativ gleichmütig, schließlich ist sein Erklärungsmuster für die Welt, dass sie schlecht ist, weil das genetische Programm schlecht ist.

Mögen Sie Ihre Figuren?

Also, mit Bruno kann ich mich eindeutig identifizieren.

Bruno, gespielt von Moritz Bleibtreu, gerät ja im ersten Teil des Films fortwährend in Situationen der Verlegenheit, Peinlichkeit, Zurückweisung. Aber immer dann, wenn das Mitgefühl des Zuschauers zu ihm will, passiert etwas, mit dem man zurückgestoßen wird –etwa die Beruhigung eines Babys mit Schlaftabletten.

Bei dieser Szene ist die Identifikation auch noch ungeklärt. Die Sache mit den Tabletten ist makaber, aber das wird als comical relief aufgenommen, das hat sich bei public screenings gezeigt. Ich kann auch die chauvinistischen Sprüche Brunos nachvollziehen, als männliches Exemplar der Gattung. Wenn du über Frauen redest, bist du nicht immer politisch der allerkorrekteste Mensch auf diesem Planeten.

Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen gegenüber den Frauenfiguren, die kurz nach ihrem ersten Auftritt schon von schweren Schlägen wie tödlicher Krankheit gebeutelt werden? Ihr Schicksal verstärkt den Schmerz der Männer, und dem gilt dann alle Aufmerksamkeit.

Na gut, das ist ein Männerfilm. Das ganze Ding ist aus einer männlichen Sicht heraus geschrieben. Aber wir haben uns doch auch vom Roman weit wegbewegt. Die Geschichte ist ja nicht mit dem Tod von Christiane zu Ende.

Der Film endet mit einem Ausblick in die Zukunft: Die Menschheit kann sich nur retten, wenn sie die Reproduktion von Liebe und Sex trennen lernt – das ist doch deprimierend!

Nein, im Gegenteil, das ist ganz anders formuliert. Wir waren nicht einverstanden mit dem, was Houellebecqs Figuren am Ende als Utopie entwerfen. Das war viel zu dogmatisch und zu mythisch. Wir haben das Ende umgeschrieben.

Houellebecq spielt ja auch immer die Karte, die Wahrheit der Pornografie gegen die Heuchelei der Kunst auszuspielen. Dieses Fass machen Sie aber im Film nicht auf, oder?

Das war eine bewusste Entscheidung. Wer das vom Film erwartet, wird enttäuscht sein. Die Geschichte von Bruno und Christiane tippt das zwar dauernd an, aber ihr eigentlicher Ort ist irgendwo zwischen einem tiefen seelischen Einverständnis und einer ungewöhnlichen Sexualität. Ich wollte dem Zuschauer auch zu viel Peinlichkeit und Unangenehmes ersparen. Dem Roman geht schon genug Skandal voraus, der Film ist emotionaler. Wir hatten ein Test-Screening mit 300 Leuten in München, da waren die Szenen im Swinger-Club noch länger. An den Sexszenen kam die meiste Kritik. Da hatte ich dann auch das Gefühl, es ist besser, das rauszunehmen.

„Elementarteilchen“. Drehbuch undRegie: Oskar Roehler. Mit MartinaGedeck, Nina Hoss, Franka Potente,Moritz Bleibtreu, Christian Ulmen. Deutschland 2006, 105 Min.