Artisten mit Arthrose

Ein Zirkus geht mit der Zeit: Der Dokumentarfilm „Babooska“ (Forum) folgt alternden Artisten an ungastliche Orte

Man kennt die Eskorte bunter Wohn- und Lastwagen vom Überholen auf der Autobahn – ein Zirkus ist wieder unterwegs und bald wird in einem stillen Städtchen ein lautes Megafon ertönen und mit Unglaublichkeiten werben. In „Babooska“, einem Dokumentarfilm über das Wanderleben eines kleinen italienischen Zirkus, wirbt das Megafon zuallererst mit der gänzlich neuen und modernen Heizanlage für ein garantiert warmes Zirkuszelt; erst dann hört man von jungen, modernen und dynamischen Zirkusartisten. Auch ein Wanderzirkus geht mit der Zeit.

Nur konnte der Zeit das Älterwerden noch nicht abgewöhnt werden. Die Frau des Messerwerfers ist schon reichlich in die Jahre gekommen. Die schnellen Bewegungen, die ihr die anzischenden Messer abverlangen, fallen ihr schwer, und mühsam ist das ständige Hinknien und Sich-wieder-Aufrichten zwischen den scharfen Klingen. Immerhin, das Sehvermögen ihres ebenfalls betagten Mannes reicht noch.

Alles an diesem Zirkus ist in die Jahre gekommen – der Clown, die Feuerschluckerin, die Pythonschlange. Die Jungen verheiraten sich, lassen sich nieder und suchen das Weite – wie die junge Pythonschlange, die während eines Auftritts verschwindet. Auch „Funky“, der Hund, der mitten im Regen gesucht werden muss, ging in die Stadt, um eine Pizza zu essen. Die Glanzzeit des Zirkus liegt hinter ihnen; wie in einem Theaterstück von Marthaler geht es um eine Zeit, die vorbei ist, während ihre Akteure noch da sind.

Genau darin liegt der Reiz des Films, der mit dem 21. Geburtstag von Babooska beginnt, einer der drei Töchter der Gerardis. Noch macht Babooska mit, mehr aus Treue und Anhänglichkeit den gallensteingeplagten Eltern gegenüber, so scheint es.

Jedes Ankommen in einem neuen Ort beginnt mit dem Einräumen der winzigen Porzellanfigürchen in den Setzkasten – wie um dem ständigen Wechsel von einem Ort zum nächsten mit Regelmäßigkeit zu trotzen. Zwischen den Auftritten liegt die Monotonie. Doch nicht nur die Monotonie für die Zirkusleute, die – überall fremd – sich mit Fernsehen und Radio die Zeit totschlagen oder kleine Ausflüge in die Städtchen unternehmen. Entgegen dem idyllischen Bild, das von italienischen Städtchen gerne gezeigt wird, erzählt der Film auch von der gähnenden Leere dieser Orte, deren Einwohner in die nächstgrößeren Städte pendeln und abends wie an den Wochenenden mehr die Ruhe als die Unterhaltung suchen. Und noch nicht einmal die Kinder scheint der beheizbare Zirkus anzuziehen. Ungastlich wirken die Orte, zumal das Wetter meist nasskalt ist. Für die Zirkusleute, die sich an den Wiesen am Rande dieser Orte ansiedeln, bedeutet dies, dass sie ihre Fahrzeuge wiederholt aus dem Schlamm ziehen müssen.

Der Film ist voller schöner Details, erzählt von den absurden wie traurigen Momenten, ohne dass er darauf abzielt, den verzauberten Stallgeruch einer Zirkuswelt künstlich zu aromatisieren. Der Zirkus ist ein entzauberter, doch auch damit kann er leben. Wenn Babooska auftritt und die Reifen um die Hüfte schwingt, erlebt man einen seltsam schönen Glanz in ihren Augen, ein Glanz aus Wehmut und Glück zugleich. MARGARETH OBEXER

„Babooska“. Regie: Tizza Covi, Rainer Frimmel. Italien, 100 Min.