Berliner Muslime gehen viele Wege

Muslime wollen heute vor der dänischen Botschaft gegen die Mohammed-Karikaturen protestieren. Doch die Demonstration ist in der Community umstritten. Das zeigt vor allem eines: wie vielfältig der hiesige Islam ist. Ein unvollständiger Überblick

von ALKE WIERTH

Die heutige Demonstration vor der Dänischen Botschaft ist unter Berliner Muslimen umstritten. Als Veranstalter will sich niemand outen, und nur wenige Moscheen haben in den Freitagsgebeten zur Teilnahme aufgerufen. Große muslimische Organisationen wie die Islamische Föderation, Ditib oder die Initiative Berliner Muslime (Ibmus) lehnen eine Teilnahme ab. Das zeigt vor allem eines: wie vielfältig die muslimische Bevölkerung in Berlin ist. Ihre Mitglieder stammen aus rund 50 verschiedenen Ländern von Albanien bis nach Indonesien – und längst auch aus Deutschland.

Ditib

Sunnitische Muslime türkischer Herkunft bilden die Mehrheit der über 200.000 Berliner Muslime – und haben die größten Vereine.

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) ist ein Ableger des Ministeriums für Religiöse Angelegenheiten der Türkei. Damit ist sie dem in der türkischen Verfassung festgeschriebenen Grundsatz der Trennung von Religion und Staat verpflichtet. In Berlin hat die Ditib elf Moscheen, unter anderem die neu erbaute am Neuköllner Columbiadamm.

Milli Görüs

Die Gründung der Ditib-Moscheen war ein Versuch der türkischen Regierung, der islamistischen Unterwanderung der in Deutschland lebenden Türken entgegenzuwirken. Ob die mittlerweile bundesweit tätige Milli Görüs eine Organisation türkischer Einwanderer oder ein Ableger islamistischer Parteien aus der Türkei ist, darüber herrscht bei Fachleuten Uneinigkeit.

Der Verfassungsschutz hält Milli Görüs für islamistisch, aber nicht für gewaltbereit. Gründe für ein Verbot hat auch eine jahrelange Beobachtung nicht erbracht.

Islamische Föderation

Doch mag die Observation der Grund sein, warum die Islamische Föderation Berlin seit Jahren vehement eine Verbindung zu Milli Görüs abstreitet. Die Föderation vertritt zwölf Moscheen, betreibt eine islamische Grundschule und erteilt an mehreren Grundschulen islamischen Religionsunterricht. Wie die Ditib ist auch die Islamische Föderation eine Organisation türkischstämmiger Sunniten. Diese bilden die Mehrheit unter den Muslimen aus der Türkei.

Türkische Schiiten

Die Aleviten, deren Zahl in Berlin mehrere zehntausend betragen dürfte, haben eigene Vereine.

Ebenso die eher kleine schiitische Minderheit aus der Türkei. Sie hat sich gemeinsam mit Schiiten arabischer und iranischer Herkunft in der Ahl-ul-Bait-Gemeinschaft zusammengeschlossen, deren Ideal eine islamische Gesellschaft nach iranischem Vorbild ist. In Berlin gehören fünf Moscheen zu der Gruppe, deren Vertreter als einzige offen ihre Teilnahme an der heutigen Demonstration ankündigen.

Neue Netzwerke: Ibmus

Arabische, bosnische, indonesische oder pakistanische Muslime haben in Berlin meist eigene Moscheen und aus sprachlichen oder politischen Gründen oft wenig Kontakt zu den türkischen Muslimen.

Seit mehreren Jahren entwickeln sich jedoch Netzwerke aus Vereinen von Muslimen verschiedener ethnischer Herkunft. Ibmus, die Initiative Berliner Muslime, hat sich vor allem im Streit um das Kopftuchverbot zusammengefunden. Zehn Vereine arabischer, türkischer, bosnischer, pakistanischer Zuwanderer und zum Islam konvertierter Deutscher arbeiten in der Initiative zusammen, um sich als Vertreter der Berliner Muslime im Dialog mit der Mehrheitsgesellschaft zu etablieren. Auch an dem Versuch, eine bundesweite Vertretung der Muslime in Deutschland aufzubauen, ist Ibmus beteiligt.

Deutscher Islam

Doch solche Netzwerke haben ihre Tücken: Bereits in der Initiative Ibmus seien „äußerst bedenkliche“ Mitglieder, meint Claudia Dantschke, Expertin für islamische Organisationen in Deutschland (Interview unten). Bei größeren Vernetzungen zwänge man unausweichlich Gruppen verschiedenster religiöser und gesellschaftlicher Herkunft unter ein Dach. Repräsentativität erreiche man so nicht, sagt Dantschke: Es setzten sich stattdessen die Gruppen mit den besten strukturellen oder finanziellen Möglichkeiten durch.

Ein Großteil der in Deutschland lebenden Muslime bleibt so oder so außen vor: Denn nur eine kleine Minderheit ist überhaupt in einem der verschiedenen Vereine organisiert.