Der Monolog der Kulturen

Der Karikaturenstreit zeigt die Entfremdung zwischen Europa und den islamischen Ländern. Entspannungspolitik ist trotz der Hardliner in Israel, den USA und im Iran nötig

Bill Clinton hat erst jetzt zugegeben, wie falsch es war, nicht mit Chatami geredet zu haben

Europäer staunen in diesen Tagen wieder einmal über die Wut in der islamischen Welt, die sich an ein paar dänischen Mohammed-Karikaturen entzündet hat, aber sich gegen den gesamten Westen zu richten scheint. Dabei steht der aktuelle Streit in einer langen Tradition, vom Aufruf, Salman Rushdie zu ermorden, bis zum 11. September 2001. Die Polemiken rund um solche Ereignisse basieren alle auf derselben Problematik: Radikale Islamisten versuchen, die im Nahen und Mittleren Osten verbreitete Aversion gegen die westliche Hegemonie in Politik und Wirtschaft in einen „Kampf der Kulturen“ umzumünzen.

Die verzerrte Wahrnehmung des Islam mit ihrer langen Geschichte und die aktuelle Politik des Westens im Nahen Osten, das alles wird von islamischen Fundamentalisten in ein ideologisches Erklärungsschema gepresst, das die angebliche Islamfeindlichkeit des Westens als alleiniges Motiv für den neuen Kolonialismus der USA und seiner europäischen Helfer ausmacht. In diesem Klima hat es das Projekt der Aufklärung und des Dialogs schwer. Es hat keine Chance, wenn es nicht von einem Paradigmenwechsel begleitet wird, in dem dieser Dialog auch politische Folgen hat. Davon sind wir derzeit weiter entfernt denn je.

Im Nahen und Mittleren Osten ist die Wahrnehmung verbreitet, dass der Westen ungeachtet der formalen Entkolonialisierung noch immer weite Teile der Politik dominiert. Von den Wahlen in Algerien, die 1991 mit Billigung Frankreichs abgebrochen wurden, bis zum Nahostkonflikt, der seit Dekaden ungelöst ist, weil die USA Israels Besatzungspolitik tolerieren, vom völkerrechtswidrigen Krieg im Irak mit bisher 100.000 Toten bis zur US-Militärpräsenz am Golf und über Afghanistan bis nach Zentralasien – Argumente gibt es für diese Sicht genug.

Dazu passt, dass ein prominenter Berater des britischen Premiers Blair, Robert Cooper, offen vom Willen zu einem neuen Kolonialismus spricht oder Frankreich per Gesetz die Rehabilitation der eigenen Kolonialvergangenheit anstrebt. Dass die Wut in der islamischen Welt nicht nur von eigenen Missständen – dem Terror, Menschrechtsverletzungen, Autoritarismus – ablenkt, sondern sich nun mit den dänischen Karikaturen auch am falschen Objekt austobt, dürfte aber eine der Ursachen dafür sein, dass die eigentliche Botschaft der Protestierenden im Westen einfach nicht ankommt: der Wunsch nach mehr Unabhängigkeit.

Eine anderer Grund ist, dass weite Teile des Westens sich immer noch weigern, die eigene Mitverantwortung anzuerkennen. Dabei hat die Islamfeindlichkeit bei uns eine lange Tradition. Die Karikatur von Mohammed mit der Lunte am Kopf erinnert an die Islampolemik in Reformationszeit und Aufklärung. Der Reformator Martin Luther bezeichnete die Muslime gerne als Heiden, „Allah“ als den Teufel und seinen Propheten Mohammed als ein wildes Tier. Die dänische Karikatur kann in dieser Tradition gesehen werden.

Die Attitüde der Bagatellisierung, die im Westen verbreitet ist, übersieht, dass es ein prinzipieller Unterschied ist, ob jemand seine „eigene“ oder eine „fremde“ Gruppe karikiert. Hinzu kommt, dass Muslime sich im Westen oft verzerrt wahrgenommen fühlen – eine Sicht, die durch die Themenagenda westlicher Medien, die den Islam nahezu vollständig auf Fundamentalismus, Terrorismus, Zwangsheirat, das Kopftuch und ähnliche Dinge reduziert, bestätigt wird.

Die Polemik radikaler Islamisten nutzt die westliche Islamophobie, um daraus ein politisches „Vernichtungsprojekt“ des Westens abzuleiten. Es ist kein Wunder, dass die Demonstrationen gegen die Karikaturen in Europa relativ verhalten ausfallen, während sie in Nahen Osten eskalieren. Das zeigt, dass es weniger eine kulturelle Dissonanz ist, sondern vielmehr die täglich erlebte Einmischung des Westens in die eigenen Belange, die die Wut befördert. In dieser Situation macht es überhaupt keinen Sinn, wenn Deutschland und Europa einen „Dialog der Kulturen“ führen, während die USA neokoloniale Politik betreiben. Diese Arbeitsteilung funktioniert nicht mehr.

Man muss dafür nur einmal die Verhandlungen über die iranische Atomfrage als Beispiel nehmen. Händeringend hat die Europäische Union versucht, der Regierung in Teheran sowohl die legale Urananreicherung für friedliche Atomnutzung als auch mögliche Pläne für den illegalen Bau von Atomwaffen auszureden. Doch politische Angebote konnte sie dem Iran nicht machen, und die USA erkennen die iranische Regierung nach wie vor nicht an. Dass der Iran beim amerikanischen Feldzug in Afghanistan eine sehr weit gehende Hilfestellung leistete, ist nicht honoriert worden. Stattdessen wurde das Land vom wieder verstärkt betriebenen Opiumanbau in Afghanistan mit Drogen überschwemmt, auch im anderen Nachbarland Irak stehen nun US-Truppen, und zu allem Überfluss droht Washington immer mal wieder mit einer Intervention.

Was heute dringend benötigt wird, sind daher nicht mehr solche „Dialoge“, wie sie etwa das Auswärtige Amt seit Jahren zuhauf und recht kostspielig im Rahmen seiner „auswärtigen Kulturarbeit“ führt, die aber politisch folgenlos bleiben. Geboten ist ein echter politischer Dialog, der eine neue Ära der Entspannungspolitik zwischen dem Westen und den islamischen Staaten einläuten könnte.

Die USA betreiben neokoloniale Politik, die Europäer üben den Dialog. Das kann nicht funktionieren

Eine solche Entspannungspolitik sollte sich an der früheren Ostpolitik der Brandt-Regierung mit den kommunistischen Ostblockregimes der Siebzigerjahre orientieren. Ergebnis einer solchen Entspannungspolitik könnte der allmähliche militärische Rückzug westlicher Hegemonialmächte aus dem Nahen Osten sein, Ziel die Umwandlung der Region in eine atomwaffenfreie Zone – unter Einbeziehung der israelischen Atomwaffen. Ein erster Schritt muss sein, die Offenheit für Gespräche mit der palästinensischen Hamas aufrechtzuerhalten, so lange sich diese zum Gewaltverzicht bereit zeigt. Eine solche neue Form der politischen Annäherung stellt auch die einzige Hoffnung auf demokratischen Wandel in der Region dar.

Leider ist eine solche Entwicklung angesichts der Hardliner, die in Washington und Tel Aviv sowie im Iran derzeit die Regierung stellen, schwer vorstellbar. Zu spät, erst vor wenigen Wochen hat Bill Clinton erkannt, dass es wohl einer der größten Fehler seiner Amtszeit war, dass er das Dialogangebot des früheren iranischen Präsidenten Chatami damals ausgeschlagen hat. Trotz der derzeitigen Stagnation muss Europa – allen voran die neue Bundesregierung – jedoch die USA viel konsequenter zu einer Richtungsänderung auffordern. Sonst darf man sich über eine Eskalation der Konflikte nicht wundern.

KAI HAFEZ