Das Glück der jüngsten Tochter

Neue Filme aus Korea im Forum: Sie nehmen eine Wirklichkeit voller Extremsituationen in den Blick. Nicht das Zaubern mit Bildern, sondern alltägliche Dramen zwischen Kindern und Eltern, Heimat und Migration bilden den Link zwischen den Filmen

VON SUSANNE MESSMER

Denkt man heute im Westen an Kino aus Korea, fällt einem zuerst die schiere Masse und dann der beinharte Stilwille vieler koreanischer Regisseure ein. Man denkt spontan an die weltweit erfolgreichen Filme von Kim Ki-duk, seine eiskalte Farben, stählernen Motive, sprachlosen Helden – oder an die Filme von Park Chan-wok, mit Gewaltexzessen und Ekelszenen wie aus dem surrealistischen Bilderbuch. Korea ist eines der lebendigsten Filmländer überhaupt.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Auswahl koreanischer Filme auf der diesjährigen Berlinale bizarr: Weder sind es viele, noch sind es von besonderem Stil geprägte Filme. Weder der Wettbewerb noch das Panorama zeigen koreanische Filme. Im Forum sind nur kleine, unabhängige Filme zu sehen, denen es weniger auf eine möglichst artifizielle Ästhetik ankommt als auf die Wirklichkeit. Gleich vier radikal unscharfe und darum sehr exakte Filme gibt es zu entdecken – und sie dokumentieren eher, als dass sie mit schönen Bildern zaubern.

Allen voran geht der Dokumentarfilm „Dear Pyongyang“ von Yang Yong-hi, einer in Japan aufgewachsenen Filmemacherin koreanischer Herkunft. Erzählt wird die Geschichte der Beziehung der Tochter zu ihrem Vater, der, obwohl in Japan, ein treuer Anhänger Nordkoreas und wichtiger Funktionär in der „General Association of Korean Residents“ ist. Der Film setzt mit der brutalen Entscheidung der Eltern ein, 1971 die älteren Brüder der Regisseurin allein nach Nordkorea zu schicken. Da waren die Brüder 14, 16 und 18 Jahre alt.

Von nun an widmet sich der Film einem seltsamen Widerspruch, der sich bis zum Ende nicht auflösen lässt: Auf der einen Seite sieht man den Vater mit vielen Orden, beim Familienfest in Pjongjang, wo er ideologische Phrasen drischt und leere Reden hält, auf der anderen Seite die ersten Fotos der Brüder aus Nordkorea, auf denen sie binnen kürzester Zeit auf die Knochen abgemagert waren. Vor allem aber sieht man immer wieder den Vater im Gespräch mit der Tochter auf dem Bett, beim Essen oder in ähnlich intimen Momenten. Man sieht ihn, wie er mit der Tochter schäkert und mit der Zeit milder wird: zuerst seine Aussage, Yong-hi dürfe niemals einen Amerikaner heiraten und dann sein großes Zugeständnis, sie dürfe die südkoreanische Staatsbürgerschaft annehmen.

Abgesehen von der haushohen Welle der Sympathie, die dieser Film beim Zuschauer für diesen widersprüchlichen alten Mann erzeugt, ist es vor allem der „One-Self Document Style“, wie Yang Yong-hi ihn nennt, der einen so mitreißt. Indem die Regisseurin die Kamera führt, das Material sammelt, alle Interviews führt und den Film strukturiert, entsteht ein äußerst konzentriertes und subjektives Bild. Man lernt fast physisch, welches Glück diese Frau hatte: Sie war das jüngste Kind und für den emotionalen Rückhalt des Vaters zuständig – und sie allein durfte ihn von einer Seite kennen lernen, die niemand sonst sah.

Ähnlich radikal subjektiv geht es in „In Between Days“ im Forum zu, einem Film der 1979 nach Amerika emigrieren Filmemacherin So Yong-kim. Dieser Spielfilm erzählt – wahrscheinlich autobiografisch inspiriert – vom Alltag des koreanischen Mädchens Amie, das gerade mit ihrer Mutter nach Amerika ausgewandert ist. Man sieht ihr dabei zu, wie sie durch den Schnee stapft, wie sie beim Englischunterricht Kringel ins Heft malt und wortlos mit ihrer Mutter beim Essen sitzt. Dabei kommt ihr die Kamera derart nahe, dass gar nicht benannt werden muss, wie allein sie ist.

Weniger „nah dran“, dafür aber ähnlich narrativ sind zwei weitere koreanische Filme im Forum: „The Peter Pan Formula“ (im Original „Oeterpan- eui Gongsik“) und „Host & Guest“ (im Original „Bangmunja“) – beides Filme über durchschnittliche Helden, die aus ihrem Alltag gerissen werden und dann sehen müssen, wo sie bleiben. „Host und Guest“ von Shin Dong-il besticht dabei vor allem durch die trockene Art der Hauptfigur, eines arbeitslosen und geschiedenen Filmprofessors. Einfach toll, wie dieser ewig missmutige Mann immer wieder an den selben dummen Alltagspflichten scheitert: an der Badtür, die klemmt, an der Lektüre der Zeitung, die täglich mit Bush zu titeln scheint. Viel zu sehr ist man bei diesem Film auf das herrliche Gezeter des Helden konzentriert als dass man noch Zeit hätte auf vorüber ziehende Wolken oder Vögel zu achten, wie man sie sonst so oft in koreanischen Filmen zu sehen bekommt.

Der Film, der am ehesten mit der vertrauten Bilderwucht koreanischer Filme arbeitet, ist „The Peter Pan Formula“ von Cho Chang-ho, in dem auch mal flatternde Wäsche im Wind oder eine Spur im Sand ins Bild kommen darf. Dennoch geht es um ein Schicksal, wie es jedem passieren könnte: Han-Soo, ein recht durchschnittlicher Junge, gerät in eine Krise, als seine Mutter nach einem Selbstversuch ins Koma fällt. Er bricht die Schule ab, widmet sich der Pflege seiner Mutter und überfällt ein paar Tankstellen, um das Geld für die Krankenhausrechnungen zusammenzubekommen.

Die Szenen, wie Han- Soo durch sein Haus schleicht oder heimlich die doppelt so alte Nachbarin beobachtet, sind von großer Poesie – dennoch lenken sie nie von der knallharten Wirklichkeit ab, um die es geht. In Korea gibt es für Kinder, deren Eltern nicht mehr für sie sorgen können, kein funktionierendes Auffangsystem. Kein Wunder, dass Han-Soo derart ausgesetzt wirkt.

„Dear Pyöngyang“. 15. 2., 16 Uhr, Delphi, 16. 2., 12.45, CinemaxX3, 18. 2., 22.45, Arsenal 1; „In Between Days“. 13. 2., 21.30, Delphi, 14. 2., 15.00, Arsenal 1; „Host & Guest“, 15. 2., 21.45, CineStar 8, 16. 2., 15.00, Arsenal 1, 17. 2., 21.30, Delphi, 18. 2., 20.00, Colosseum; „The Peter Pan Formula“, 13. 2., 21.30, CineStar8, 14. 2., 17.30, Arsenal 1, 15. 2., 16.30, CineStar 8, 18. 2., 21.30, Delphi