Dumping treibt die Massen an

Demo II: Mehr als 40.000 Gewerkschafter protestieren gegen die geplante Liberalisierung des europäischen Dienstleistungsmarktes. Ganz Mitte versinkt im rot-weißen Meer der DGB-Fahnen

VON FELIX LEE

Es war die erste große Demonstration gegen Sozialabbau, seit die neue Bundesregierung im Amt ist. Und dennoch richtete sie sich nicht gegen sie. Europa war dieses Mal Adressat. Kanzlerin Angela Merkel darf sich bei den sozialen Bewegungen anscheinend noch weiter in Schonzeit wähnen.

Mehr als 40.000 Teilnehmer zogen am Samstag durch Mitte. Das Motto lautete: „Europa Ja – Sozialdumping Nein“ und richtete sich gegen die so genannte Bolkestein-Richtlinie. Das nach dem früheren EU-Marktkommissar Frits Bolkestein benannte Gesetz sieht die schrankenlose Liberalisierung von Dienstleistungen vor und soll am Donnerstag in Straßburg vom Europäischen Parlament verabschiedet werden. Dagegen regt sich vor allem in Frankreich und Deutschland seit einigen Monaten massiver Protest. Unter anderem wegen der Bolkestein-Richtlinie stimmte eine Mehrheit der Franzosen vergangenes Jahr gegen die geplante EU-Verfassung.

„Sollte diese Richtlinie verabschiedet werden, wären Tür und Tor für ein weiteres Dumping bei Löhnen, Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutz geöffnet“, sagte Sieglinde R., Ver.di-Mitglied aus Charlottenburg. Andere Demonstranten schwangen den symbolischen Bolkestein-Hammer, mit dem sie die Richtlinie zertrümmern wollten.

Ausgestattet mit roten Fahnen und großen Luftballons waren die Demonstranten fast aller DGB-Gewerkschaften mit mehr als 600 Bussen aus ganz Deutschland nach Berlin gekommen. In Gewerkschaftsmanier machten viele Teilnehmer ihrem Unmut über die EU-Pläne mit Trillerpfeifen Luft. Auf Transparenten forderten sie unter anderem „Kein Sozialabbau, sondern soziale Sicherung“.

Aber nicht nur die DGB-Gewerkschaften mobilisierten ihre Massen. Auch die SPD, Linkspartei und die Grünen waren am Samstag mit vielen Mitgliedern vertreten. An der Spitze des Demonstrationszuges gingen neben den Vorsitzenden der großen Einzelgewerkschaften auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sowie die Fraktionschefin der Grünen, Renate Künast.

Während in Berlin vor allem Gewerkschaftsmitglieder das Protestbild prägten, mobilisierte das globalisierungskritische Netzwerk Attac und andere linke Gruppen direkt nach Straßburg, wo zeitgleich demonstriert wurde. Die Globalisierungskritiker wollen es nicht bei dem Protest am Samstag belassen. Auch Berliner Aktivisten bleiben bis morgen in Straßburg, um zwei Tage vor der Abstimmung im Europäischen Parlament ein zweites Mal auf die Straße gehen.