ARNO FRANK über GESCHÖPFE
: Lesbische Liebe in Zeiten der Vogelgrippe

Haustiere sind einfach immer ein Gewinn – es sei denn, es handelt sich dabei um homosexuelles Geflügel

Früher oder später reckt im Herzen einer jeden Frau der Kinderwunsch sein hässlich Haupt. Vielleicht war es bei meiner Schwester noch zu früh, denn in ihr regte sich vor zwei Jahren erst mal ein Tierwunsch. Meine Schwester lebt in einer Finca an der Costa Blanca, mit Garten und Pool und Blick bis nach Ibiza, bei günstigem Wetter. Nur die Stille machte ihr manchmal zu schaffen, und so verkündete sie eines Tages: „Ich will eine Ente. Enten quaken so lustig, und dann fühlt man sich nicht mehr so alleine.“

Klar, das Leben einer Ente in Gefangenschaft ist kein Zuckerschlecken. Auch hätte es meine Schwester hellhörig machen müssen, dass ihr ausgerechnet der Wirt ihres Stammrestaurants bei der Suche nach einem Entenzüchter weiterhelfen konnte. Wir waren also gewarnt.

Trotzdem verschlug es uns Atem und Sprache, als wir den Hinterhof des Grauens betraten. In die drangvolle Enge dieses finsteren, furztrockenen Betonquadrates waren schon Generationen von Küken hineingeboren worden, um hier im eigenen Dreck ein erbärmliches Dasein zu fristen, mit gestutzten Flügeln und ohne Hoffnung auf eine andere Erlösung als den Kochtopf.

Der Züchter packte das zappelnde Federvieh, für das sich meine Schwester entschieden hatte, in einen schäbigen Pappkarton und wünschte guten Appetit. „Sie soll Maria heißen“, sagte meine Schwester noch auf dem Heimweg, den Pappkarton auf den Knien.

Später stellten wir die Schachtel auf den Rasen und öffneten den Deckel, um das traumatisierte Tierchen in seine neue Heimat zu entlassen. Aber Maria, schockstarr, wagte sich nicht hinaus in den weitläufigen Garten mit seinen sattgrünen Hecken und dem blau schimmernden Pool, was meine Schwester sehr rührte: „Ich glaube, die glaubt, sie ist im Himmel!“, sagte sie, und schon schnellte die Ente aufgeschreckt aus ihrem Karton, verschwand flatternd in den Hecken und ließ sich eine Woche lang nicht blicken. Eine weitere Woche verging, bis Maria endlich den Pool als ihren natürlichen Lebensraum und sich selbst als Wasservogel entdeckt hatte. Über die rührenden Szenen, die sich dabei abgespielt haben müssen, hielt meine Schwester mich telefonisch auf dem Laufenden: „Sie putzt ihr Gefieder! Sie gründelt! Sie frisst!“

Sie kackte auch ununterbrochen ins Wasser, wo sich, wie man durch die Taucherbrille schön beobachten konnte, der Kot in weiße Wölkchen auflöste. Schlimmer war das ständige Scheißen auf die Kacheln am Beckenrand, wo das aggressive Zeug hässliche Flecken machte, die jeden Abend mit der Bürste abgeschrubbt werden mussten. All dies tat die Ente – nur nicht das, wofür sie gekauft worden war, nämlich quaken.

„Virginia brauchte Gesellschaft, eine Freundin“, erklärte meine Schwester, als sie mich bei meinem nächsten Besuch vom Flughafen in Alicante abholte. „Virginia?“

„Ich hab sie umbenannt“, sagte sie knapp: „Du wirst schon sehen, warum.“ Und ich sah: Das Wasser im Pool war gekippt, die Filter waren verklebt, die Pumpe war kaputt, der Beckenrand weiß verkrustet, und meine Schwester seufzte: „Darf ich vorstellen? Virginia Woolf und Vita Sackville-West. Im Wasser sitzt meistens Vita auf Virginia, und auch an Land sind sie unzertrennlich. Enten sind ja bekanntlich sehr sozial. Quaken wollen sie nur leider beide nicht …“ Da kamen auch schon zwei völlig identische Entchen um die Ecke gewatschelt, würdigten uns keines Blickes und nahmen unbeholfen die Stufen ins Haus, kackend.

Wir folgten ihnen in die Küche, wo Vita gerade mit bedrohlichem Flügelschlagen die Katze verscheuchte, damit sich Virginia über ihr Futter hermachen konnte. „Machen dir die beiden nicht viel Arbeit?“, fragte ich. „Schon“, meinte meine Schwester mit einem Lächeln, das sogar ihre Augenringe überstrahlte: „Aber sind sie nicht ein wunderschönes Paar?“

Das war vor einem Jahr. Am Wochenende fliege ich wieder runter. Meine Schwester freut sich schon, hat sie gesagt – und angekündigt, mich diesmal mit einem leckeren Essen zu überraschen. Es gibt Braten, mehr wird nicht verraten.

Fotohinweis: ARNO FRANK GESCHÖPFE Glücklich verliebt? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN