Ein berlinernder Katalysator

Der Schauspieler Milan Peschel ist Berliner, spielt Berliner und stellt dabei eine Nähe her, die das Kinopublikum erschaudern lässt. Ein Treffen in Prenzlauer Berg

Zu Beginn des Films „Netto“ betritt Milan Peschel eine Kneipe an der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg, bestellt etwas zu trinken und beginnt am Tresen zu philosophieren.

Zu Beginn des Gesprächs betritt Milan Peschel ein Café an der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg, bestellt etwas zu trinken, doch angesprochen auf diese augenscheinliche Parallele zeigt er sich erst mal verwundert. „Ist mir jar nicht aufgefallen, aber ja, stimmt, dit is wie im Film. Aber ich selbst geh hier in der Gegend gar nicht so oft weg“, wiegelt er ab. Doch wie er das in seinen Tee spricht, breit berlinernd und mit der Hand die Wange kratzend – da meint man dann eben doch, vor einem säße die Filmfigur und niemand anderes.

Seine Rollen scheinen Milan Peschel auf den Leib geschrieben – auch in seinem neuen Film „Lenz“, der jetzt auf der Berlinale gezeigt wird, ist das wieder so. In dem von Büchners Novelle inspirierten Werk von Thomas Imbach spielt Peschel einen Regisseur, der auf der Suche ist nach dem Stoff für einen neuen Film, vielleicht aber mehr noch auf der Suche nach sich selbst. Ein Typ, der absolut nicht in seine Umgebung zu passen scheint, psychisch nicht und auch nicht von der Herkunft, ein Berliner in der Schweiz, gedreht wurde in Zermatt. Und das, sagt Milan Peschel jetzt, geht gar nicht: „Die Schweiz ist echt ein komisches Land, so klein und piefig. Hat mich ein bisschen an die DDR erinnert, und ’ne Ideologie haben sie auch, das ist das Geld.“ Nein, betont Peschel, leben könnte er da nie: „Für mich gibt’s eigentlich nur Berlin.“

In Ostberlin wurde Milan Peschel 1968 geboren, seither hat er durchweg in der Stadt gelebt. Schon als Kind habe er Schauspieler werden wollen, erzählt er, „dit kam einfach so, weiß auch nicht warum“. Von 1984 bis 1986 macht er eine Ausbildung zum Theatertischler an der Deutschen Staatsoper, anschließend arbeitet er als Bühnentechniker an der Volksbühne. „So ein handwerkliches Grundverständnis ist ja was Gutes eigentlich“, sagt er, als sei er gerade in diesem Moment auf eine passende Erklärung für seinen Werdegang gestoßen – klingt nicht so, als habe hier einer seinen Lebensweg zu einem aufregendem Mythos zusammengeschraubt. Anfang der Neunzigerjahre geht Peschel dann an die Schauspielschule Ernst Busch („Da war auch Glück dabei“), seit 1997 gehört er zum festen Ensemble der Volksbühne.

Schaut man sich die Anzahl und Breite seiner Engagements an, wäre es natürlich großer Unsinn, ihn auf die Losertypen festzulegen, die er in „Netto“ und „Lenz“ spielt, oder gar ihn mit seinen Rollen gleichzusetzen – bei Auftritten in Stücken wie „Meister und Margarita“, „Terrordrom“ und „so jedem zweiten Dostojewski bei Castorf“ käme da auch eine ziemlich multiple Persönlichkeit heraus. Aber dennoch ist da diese erstaunliche Authentizität gerade in seinen Filmrollen und eine Nähe, die einen erschaudern lässt, denn die Typen, die man da präsentiert bekommt, sind alles andere als sympathische Loser: verkorkstes Familienleben, maßlose Egozentrik und Gewaltfantasien – man leidet mit diesen Figuren, aber auch an ihnen.

„Dit freut mich“, entgegnet Peschel, „seh’ ick genauso. Klar sind das kaputte Typen, und man kann damit beim Zuschauer schnell auf Ablehnung stoßen, auch weil das mit so einer Konsequenz bis zum Ende weitergeführt wird und der Fokus auf der einen Figur bleibt. Aber ich find’ das wichtig, so was nicht nur anzureißen. Vielleicht hat das mit mir zu tun, weil ich da so eine Fantasie entwickeln kann und ein Interesse habe für die Figuren – aber das heißt nicht, dass ich genau so bin wie die.“

Vielleicht geht es in Peschels Filmen ohnehin mehr um Empathie als um spröden Sozialrealismus. Für ihn jedenfalls, dessen Lieblingsfilm die Defa-Produktion „Bis daß der Tod euch scheidet“ ist („Könnt’ ick immer wieder bei heulen“), kommt es vor allem darauf an, dass die Geschichte stimmt.

Demnächst wird man ihn als Dieter Kunzelmann in einem Film über die Kommune I sehen und in dem Film „Fläming“ nach einem Stück von Oliver Bukowski. Auch für Oskar Roehlers „Elementarteilchen“ hatte er ein Angebot – eine kleine Rolle im Swingerclub wäre das gewesen, aber Peschel wollte nicht. Statt des Bären-Favoriten nun also der Forums-Beitrag „Lenz“, ein experimenteller Film, bei dem viel mit Laiendarstellern gearbeitet wurde und die meisten Szenen erst beim Dreh entstanden.

Das Wort „Improvisation“ mag Peschel jedoch nicht – das klinge so abwertend, sagt er. Und schiebt dann diesen Satz nach, der tresenphilosophischer, aber auch wahrer klingt als vieles, was man derzeit zum breit diskutierten neuen Realismus im Film zu hören bekommt: „Es geht darum, künstlich ’nen dokumentarischen Charakter herzustellen. Das ist wie im Reagenzglas: Man nimmt sich einen authentischen Ort und authentische Leute und gibt dann einen Katalysator dazu – und dieser Katalysator, das bin icke.“ SEBASTIAN FRENZEL