Hühnerblut trinken

Die Geschichten gehen ans Herz, die Schauspieler sind wunderbar, das Tempo stimmt. Und doch stellt sich bei „Shisso“ (Panorama) von dem japanischen Regisseur Sabu viel zu schnell Übersättigung ein

VON DETLEF KUHLBRODT

Seit dem Debütfilm „D.A.N.G.A.N Runner“ (1997) ist Regisseur Hiroyuki Tanake ein gern gesehener Gast der Berlinale: viermal im Forum, zweimal im Panorama. Filme wie „Monday“ (’00) oder „Blessing Bell“ (’02) beeindruckten durch einen oft ins Absurde gehenden Humor und eine melancholische Grundstimmung. Es war immer ein Festivalhöhepunkt, Sabu San, wie sein Künstlername lautet, persönlich erleben zu dürfen. Unvergessen sein Auftritt vor vier Jahren, als er sich im Delphi mit folgenden Worten vorstellte: „Ihr kennt mich schon gut, denke ich. Ich bin Sabu, der geniale Regisseur. Der Film, den ihr jetzt sehen werdet, ist etwas anders als meine bisherigen Filme, aber trotzdem wieder ein Meisterwerk geworden.“ (Natürlich hatte er Recht.)

Sein neuer Film, „Shisso“, hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits wunderbare Schauspieler, viel Tempo, ans Herz gehende Geschichten, andererseits hat man am Ende das Gefühl einer gewissen Übersättigung, so, als hätte Sabu zu viel in diesen Film hineingepackt.

Die Helden des Films erscheinen überdeterminiert, mag diese Überdeterminierung auch wieder interessant sein, denn Fragen des Schicksals werden ja selber auf unterschiedliche Weise des Öfteren in dem Film erörtert: wenn der junge Pater Yuichi den Unterschied zwischen Kharma und Schicksal zu erklären versucht oder wenn Eri, die junge durch den Selbstmord ihrer Eltern traumatisierte Heldin, ihrem Seelenfreund unterschiedliche Versionen ihrer anbietet – „Such dir die aus, die besser klingt.“

Im Grunde genommen handelt der Film von Gangstern und Bodenspekulanten, von der Jugend in einer kleinen Stadt und von Paarbeziehungen, die einander spiegeln. Im Einzelnen gibt es großartige Szenen: wenn Siju und sein großer Bruder zu Weihnachten in die christliche Kirche gehen, neugierig und ängstlich, wird doch gesagt, dass die Christen einen dazu bringen, Hühnerblut zu trinken. Sie sind die einzigen Gottesdienstbesucher, und als der Priester ihnen die Singebücher gibt, rennen sie weg.

Sehr eindringlich beschreibt Sabu den Konformitätsdruck, dem seine Helden in der Schule ausgesetzt sind. Irgendwann zitiert er auch den Schreckensbus aus Aoyama Shinjis preisgekröntem Meisterwerk „Eureka“ (2000), der bekanntlich auch von zwei traumatisierten Jugendlichen handelt. Alles ist im Einzelnen toll, aber irgendwie auch zu viel, oder das Zuviel, das in Komödien oder Satiren Sinn macht, schwächt die tragische Struktur.

Shisso, 124 min. Japan 2005. 14. 2., 19.30 Uhr, CinemaxX 7; 15. 2., 13 Uhr, CineStar 3; 16. 2., 22.45 Uhr CineStar 3