Wachsender Druck

Zuschauer des eigenen Lebens: „El Custodio“ erzählt von der Anspannung eines Leibwächters (Wettbewerb)

Der argentinische Wettbewerbsbeitrag „El Custodio“ von Rodrigo Moreno ist ein klasse Film! Er handelt von Ruben (Julio Chavez) einem Leibwächter, dessen Aufgabe es ist, den Minister für Planung ständig zu bewachen. Fast wie in einem Dokumentarfilm werden die ereignisarmen Tage des Leibwächters geschildert, der wie ein Schatten am Planungsminister klebt.

Wie er sich in seine Schutzweste zwängt – die aus Deutschland sind besonders gut, wird mehrfach betont –; wie er vor verschlossenen Türen, hinter denen Wichtiges beredet wird, wartet; wie er mit einem ebenfalls in Deutschland hergestellten Fernglas die Umgebung kontrolliert; wie er – ein geübter Zeichner – sich vom Minister an den Tisch bitten lässt, um dessen Gesprächspartner zu zeichnen, und dann gelobt wird, eigentlich wie ein Hund, der ein Kunststück aufgeführt hat: Man wird nicht müde, dem zuzuschauen.

Wenn der Minister aus dem Auto steigt, steigt auch Ruben aus dem Auto, und wenn der Minister mit seiner Familie übers Wochenende in den Country Club fährt, ist er in immer diskreter Entfernung dabei. Mit großer Meisterschaft beherrscht er die Kunst, zugleich anwesend und abwesend zu sein. Er ist ein perfekter, selbstbeherrschter Diener, den die Tochter des Ministers nicht beachtet, wenn sie im Slip an den Kühlschrank geht.

Sein Privatleben erledigt Ruben mit ähnlichem Stoizismus wie seinen Job. Er beschwichtigt seine überaus nervöse Schwester, respektiert seine überdrehte Nichte, geht unbewegt zu einer Prostituierten. Im Grunde genommen ist er ein sicher nicht glücklicher Zuschauer seines eigenen Lebens; so diszipliniert, dass man das Anwachsen seiner inneren Anspannung zunächst kaum registriert. Die aufmerksame Anspannung von Ruben, sein Blick auf der Suche nach Auffälligkeiten, überträgt sich auf den Zuschauer. Diese Spannung wird verstärkt durch eine grandiose Tonspur, die die kleinen Geräusche – im Auto etwa – betont und weitestgehend auf Musik verzichtet, und eine zurückhaltende und während der vielen Autofahrten äußerst effektvolle Kamera. Irgendwann ist dieser großartige Film fast zu Ende; man dachte, er hätte kaum eine Viertelstunde gedauert, und dann passiert plötzlich doch etwas, was vielleicht gar nicht nötig gewesen wäre.

DETLEF KUHLBRODT

„El Custodio“. Regie: Rodrigo Moreno. Arg/D/Fr, 93 Min. 14. 2., 21 Uhr Berlinale Palast, 23 Uhr International; 19. 2., 12 Uhr Urania