Grüne beklagen schlechte Verfassungsklage

Der Senat gefährde die milliardenschwere Haushaltsklage in Karlsruhe, kritisieren die Grünen. Anstatt auf gegnerische Kritik zu reagieren, schweige der Senat. Finanzsprecher lehnt Festlegung auf 35 Milliarden Euro Haushaltshilfe ab

Glaubensdinge sind bekanntlich heikel. Wer auf Erlösung hofft, mag keine Zweifel daran hören. Das gilt nicht nur für Religionen, sondern auch für die auf den ersten Blick spröde Finanzpolitik. Ein aktuelles Beispiel: Der Senat hofft auf den Erfolg seiner Haushaltsklage beim Bundesverfassungsgericht. Zweifel sät hingegen der Grünen-Haushaltsexperte Jochen Esser. Aus seiner Sicht tut der Senat zu wenig, um die Milliardenklage zu einem Erfolg zu führen – zum Schaden von Berlin.

„Hoch riskant“ und „verantwortungslos“ findet Esser, dass der Senat nicht mehr auf schriftliche Kritik von Prozessvertretern anderer Bundesländer reagiere. Während etwa Nordrhein-Westfalen einen hochrangigen Rechtsexperten in den Kampf um Bundeshilfen schicke, reagiere Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) seit einem Jahr mit öffentlichem Schweigen. „Ich halte dieses Verhalten für fahrlässig“, kritisierte der Grünen-Abgeordnete gestern.

Deshalb hat seine Fraktion jetzt einen Antrag ins Parlament eingebracht. Darin fordern die Grünen den Senat auf, eine neue Finanzplanung für die Jahre 2006 bis 2010 vorzulegen. Ein solches Papier könne den Einwänden anderer Bundesländer gegen Berlins Haushaltspolitik entgegentreten. Ähnliches forderte in der vergangenen Woche die FDP-Fraktion.

Worum geht es? Der Senat fordert wegen seiner gewaltigen Schulden von fast 60 Milliarden Euro Hilfen vom Bund und den Ländern. Eine Haushaltsnotlage drohe das Land mittelfristig zu lähmen, argumentiert der Senat. Karlsruhe muss ab 26. April darüber befinden, ob Berlin Anspruch auf Hilfe hat. Bis zu 35 Milliarden Euro, wiederholte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) immer wieder, könne ein positives Richterurteil der armen Hauptstadt bringen.

„Wir sollten auf die Forderungen der anderen Bundesländer eingehen, wenn man sie nicht von der Hand weisen kann“, sagte Esser. Aus seiner Sicht gibt es bis Ende April einiges zu erledigen: Der Gewerbesteuerhebesatz solle auf das Niveau von Potsdam erhöht werden, das brächte laut Esser rund 100 Millionen Euro im Jahr. Ein anderes Beispiel ist die Verringerung des Personals im öffentlichen Dienst um 20.000 auf 100.000 Vollzeitstellen. Das ist bereits geplant, die Grünen bezweifeln aber, dass der Senat dies zügig umsetzt. Der Sprecher der Finanzverwaltung, Matthias Kolbeck, hält die Grünen-Forderungen für überzogen. Mit Blick auf den Karlsruher Prozess urteilt er: „Richter gucken auf die Gesamtbilanz einer Sanierungspolitik, und die ist gut.“

Und die Zweifel von Juristen, dass Berlin 35 Milliarden Euro bekommen werde? „Wir klagen nicht auf 35 Milliarden Euro, wir klagen auf Anerkennung unserer Haushaltsnotlage und unseren Anspruch auf Abhilfe.“ Wie viel letztlich gezahlt werde, entscheide nicht das Gericht. Das würde in späteren Verhandlungen geklärt.

Für den Herbst wird das Urteil der Karlsruher Richter erwartet. Dann wird sich zeigen, ob der Gläubige oder der Kritiker – Senat oder Grünen-Fraktion – Recht hatte. MATTHIAS LOHRE