KONJUNKTUR: REINE HOFFNUNG REICHT NICHT FÜR DEN BOOM
: Mit Streiks für mehr Wachstum

Vielleicht liegt es an der Fußballweltmeisterschaft: Der Konjunkturoptimismus ist momentan nicht zu bremsen. Unbeschwert bereitet sich die deutsche Wirtschaft auf ein Boomjahr vor. Und sprechen nicht alle Zahlen dafür? Der DAX steigt, der Ifo-Geschäftsklimaindex befindet sich auf einem Höchststand, und die Stimmung bei 25.000 befragten Unternehmern ist auch prächtig, wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag bekannt geben konnte. Dieser Kollektivrausch hat nur einen Nachteil: Er basiert auf Hoffnungen, nicht auf Daten.

Nun ist Wirtschaft bekanntlich zu einem großen Teil Psychologie – aber trotzdem lässt sich die Ökonomie nicht komplett auf nationale Befindlichkeiten reduzieren. Ein paar Fakten sind nicht zu ignorieren, obwohl sie das heitere Bild stören. So ist die deutsche Wirtschaft im letzten Quartal 2005 nicht mehr gewachsen, wie das Statistische Bundesamt meldet. Amtliche Ursache: Die Bürger waren schlechte Kunden; selbst der Weihnachtstrubel konnte sie nicht animieren, gänzlich ungehemmt zu konsumieren.

Deutschland – ein Land der Angstsparer? Die These ist beliebt, passt sie doch gut zur aktuellen Hoffnung, dass nur die nationale Laune steigen muss, damit die Wirtschaft boomt. Schön wär’s. Leider liegen die Fakten erneut anders. Der Konsum schwindet, weil die Einkommen sinken. 2005 war ein bemerkenswertes Jahr: Erstmals seit 1992 schrumpfte das Entgelt für alle Arbeitnehmer um 0,5 Prozent. Denn die Zahl der Erwerbstätigen sank um 128.000; gleichzeitig mussten viele ungewollt in Teilzeit- und Niedriglohnjobs wechseln. Selbst die regulär Beschäftigten erlebten, dass ihre Bruttolöhne kaum steigen. Die Wirtschaft hingegen wuchs um reale 0,9 Prozent. Wo das Plus geblieben ist? Bei den Unternehmern und Vermögenden. Sie konnten ihr Einkommen um 6,1 Prozent steigern.

Diese Verteilung ist nicht nur ungerecht, sie hemmt auch die Konjunktur. Insofern müssten eigentlich alle Wirtschaftsexperten begeistert sein, dass die IG Metall nun verbissen für deutliche Lohnerhöhungen streiken will. Aber noch wird lieber auf Boom gehofft – bis es zu spät ist.

ULRIKE HERRMANN