Kränkung und Ehre

Der große Regisseur Andrzej Wajda erhält den Ehren-Bären. Blamablerweise werden seine Filme nicht gezeigt

Das Interesse an der Demontage von Heldenbildern prägt viele Wajda-Filme

Manche Ehrung kann kränkender sein als jede Kritik. Man kennt das von den Oscars: Jeder möchte noch einmal einen „richtigen“ bekommen, bevor mit dem „life achievement award“ eine Art Todeskuss erfolgt, den man frei übersetzen könnte mit: Es ist vorbei; von dir erwartet niemand mehr etwas.

Diese glorreiche Verabschiedung hat Andrzej Wajda bereits hinter sich. Im Jahr 2000 erhielt er einen Oscar für seinen Beitrag zum Weltkino. Obwohl er noch kontinuierlich arbeitet, erfahren seine Filme aber nur noch in seinem Heimatland Polen Beachtung. Am 6. März nun wird der Regisseur 80 Jahre alt und man kann sich gut vorstellen, dass das bei der Entscheidung für einen Ehren-Bären eine Rolle gespielt hat. Wajdas Verdienste sind dabei anscheinend so unbestritten, dass an sie gar nicht erinnert werden muss – die Ehre, seine Filme zu zeigen, erweist man ihm nämlich nicht. Lediglich am Abend der feierlichen Überreichung im Kino International wird ein Werk von ihm vorgeführt: die deutsche Fernseh-Koproduktion „Pilatus und andere – Ein Film für Karfreitag“ aus dem Jahr 1972.

Andrzej Wajda selbst hat diesen Film ausgesucht und im Vorfeld lässt sich über das Warum nur spekulieren. Vielleicht ja aus ähnlichen Regungen wie jenen, die er auf seiner Homepage schildert: Für die Verfilmung der Pilatus-Geschichte, die sich als Quelle hauptsächlich auf die entsprechenden Segmente aus Michail Bulgakows Roman „Meister und Margarita“ stützt, suchte Wajda Drehorte in Deutschland. Es sollte eine Art zeitgenössischer Ruinenlandschaft sein und so sei er auf Nürnberg und die Ruinen des Dritten Reichs gekommen. Dort zu drehen, wo Hitler seine Parteitagsreden gehalten habe, sei ein besonders bewegender Moment für ihn und die ganze Crew gewesen: Hitler habe auch sie, die Polen, vernichten wollen, und da waren sie nun und hatten überlebt. Er habe sich in den Wochen der Dreharbeiten als wahrhaft freier Mann gefühlt. Als Filmemacher, der sich seine künstlerischen Freiheiten zu nehmen wusste, hatte er sich zu dem Zeitpunkt allerdings schon lange einen Ruf gemacht.

Den Mann zu ehren, ohne seine Filme zu zeigen, scheint symptomatisch für das nachlassende Interesse an Osteuropa und das Verschwinden des osteuropäischen Kinos auf der Berlinale. Bis in die 90er–Jahre hinein war Wajda noch häufig im Wettbewerb vertreten, doch kaum eines dieser Werke kam in Deutschland in die Kinos. „Fräulein Niemand“, „Karwoche“ sind heute nur noch wenigen ein Begriff. Das war einst ganz anders: Wajdas „Danton“ zum Beispiel, verfilmt mit einem polnisch-französischen Ensemble, war 1983 ein regelrechtes Kinoereignis. Gérard Depardieu spielte einen vor Vitalität nur so strotzenden Helden der Französischen Revolution, einen begnadeten und selbstverliebten Redner, der von jedem Speisenteller naschte, der ihm unter die große Nase kam, und noch im finsteren Verlies zu Scherzen aufgelegt war. Sein von revolutionärer Strenge und Askese geprägtes Gegenüber Robespierre, der Unbestechliche, wurde vom Polen Wojciech Pszoniak verkörpert, und beide buhlten sie um den schönen Desmoulins, gespielt von Patrice Chéreau. Die Ereignisse in Polen Anfang der 80er machten es fast unmöglich, den Film anders denn als eine Parabel darauf zu begreifen. Sieht man „Danton“ heute wieder, in einer Zeit, in der die Verhängung des Kriegsrechts in Polen näher am Zweiten Weltkrieg scheint als an der Gegenwart, erkennt man, dass es Wajda bei allen Anspielungen auf die Aktualität um etwas Allgemeineres geht: um die Frage, wie sich der Einzelne zur großen Geschichte verhält. Die Revolutionshelden in seinem Film werden gewissermaßen vom Heldenstatus zu dem von Individuen „degradiert“.

Das Interesse an der Demontage von Heldenbildern prägt viele Wajda-Filme. Ein vollkommen unheroisches Bild der polnischen Gesellschaft in den Anfängen der Solidarność-Bewegung hatte er im „Mann aus Eisen“ (1981) gezeigt. Im „Mann aus Marmor“ (1977) war es um die Rolle der stalinistischen Heldenbilder im Polen der Gegenwart gegangen. Bezeichnenderweise wissen heute nur noch die Wenigsten, dass die Hauptperson im „Mann aus Marmor“ eine Frau ist: Die von der wunderbaren Krystyna Janda gespielte Dokumentarfilmerin Agnieszka.

Andrzej Wajda hat selbst immer wieder über das mangelnde Interesse Westeuropas an seinen Nachbarn im Osten geklagt. Dass diese Mauer der Ignoranz wenigstens zeitweise durchbrochen wurde, daran trägt er großen Anteil. Mit seinen frühen Filmen „Kanal“ (1957) und „Asche und Diamant“ (1958) war es ihm gelungen, Polen als Filmland weltweite Beachtung zu verschaffen. Dass dieses Interesse heute wieder einen neuen Tiefststand erreicht hat, verleiht der Ehrung Wajdas einen melancholischen, wenn nicht gar bitteren Beigeschmack. Was bleibt, ist das Vertrauen auf die Filme: Die sind im Grunde so stark, dass man sich um deren Wiederentdeckung in künftigen Zeiten keine Sorgen machen muss.

BARBARA SCHWEIZERHOF