Abschiebehaft zum Hotelpreis

Selbstmordversuch, Hungerstreik, brennende Matratzen – im Grünauer Abschiebeknast kam es zu heftigen Ausschreitungen. Die Insassen protestieren gegen Haftkosten in Höhe von 62 Euro pro Nacht

von FELIX LEE
UND JOHANNES RADKE

Wieder einmal kommt es zum Hungerstreik. Wieder einmal brannte es. Und wieder einmal versuchte sich ein Insasse umzubringen. Beinahe regelmäßig kommt es im Grünauer Abschiebegewahrsam zu schweren Ausschreitungen. Doch von einem kontinuierlichen Protest kann keine Rede sein. Denn es sind immer neue Insassen, die aufbegehren.

Bei den jüngsten Ausschreitungen haben Häftlinge in der Nacht zum Dienstag mehrere Matratzen in Brand gesteckt. Das Feuer konnte laut Polizeiangaben zwar rasch gelöscht werden. Wegen der starken Rauchentwicklung mussten aber neben 32 Männern auch 17 Frauen im darüber gelegenen dritten Stock kurzzeitig ihre Zellen verlassen. Verletzt wurde dabei niemand.

Auslöser der Revolte war ein tragischer Vorfall am Montagvormittag. Ein 63-jähriger Insasse aus Mazedonien hatte erfahren, dass er die Kosten für seine Abschiebehaft selbst zu tragen habe. Geschätzte 1.800 Euro seien ihm bei der Festnahme als so genannte Sicherheitsleistung abgenommen worden, sagte Bernhard Fricke, Seelsorger der evangelischen Kirche im Abschiebeknast. Dieses Geld soll ihm am Ende der Haft mit den anfallenden Kosten verrechnet werden.

Gegen 14.40 Uhr fand ihn das Wachpersonal im Toilettenraum an einem Türgitter hängen. Er hatte sich ein zusammengerolltes Bettlaken um den Hals geknotet und wollte sich erhängen. Eine Polizeiärztin leistete erste Hilfe. Der Mann wurde mit einem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht. Er überlebte.

Im Verlauf des Abends müssen Mithäftlinge von dem Vorfall erfahren haben. 14 von ihnen kündigten an, die amtlich gelieferte Nahrung nicht mehr anzunehmen. Sie argumentierten, dass ihnen somit keine Unterbringungskosten in Rechnung gestellt werden könnten. Nach Angaben des Gewahrsamsleiters Frank Kiele versperrten sie mit Möbeln den Etagenzugang und steckten fünf Matratzen in Brand. Das Feuer konnte schnell gelöscht werden. Noch in der Nacht informierte sich Polizeipräsident Dieter Glietsch über die Lage. Das Landeskriminalamt ist eingeschaltet. Die Insassen sind inzwischen in anderen Zellen untergebracht.

„Es hatte sich abgezeichnet, dass der Protest sich ausweiten würde“, sagte Seelsorger Fricke. Noch am Montagabend hatte er mit den Häftlingen über ihre Situation gesprochen. „Alle waren sehr schockiert über den Selbstmordversuch und zeigten sich solidarisch mit ihrem Mithäftling.“ In diesem Moment sei vielen von ihnen erst richtig klar geworden, wie lange ihre Abschiebehaft schon dauert und dass sie für die Zeit in Haft auch noch zahlen müssen. „Jeder Tag in Abschiebegewahrsam kostet etwa 62 Euro“, erklärte Fricke. Bei einer durchschnittlichen Haftzeit von rund drei Monaten würden sich viele Insassen verschulden.

Bestürzt zeigte sich auch Stephan Haufer von der Initiative gegen Abschiebehaft: „Die Ausländerbehörde hält die Häftlinge bewusst im Ungewissen und klärt sie nicht über ihre Rechte und Pflichten auf“, so Haufer. „Kein Wunder, dass der Unmut groß ist.“ Ähnlich sieht es die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, Jasenka Villbrandt: „Es ist den Betroffenen nicht vermittelbar, warum sie für ihre Haft zur Kasse gebeten werden, zumal ihr einziges Vergehen darin besteht, keine Aufenthaltsgenehmigung zu haben.“