„Ohne Anteil am täglichen Leben“

Der Traum von der Rückkehr verkehrt sich in einen Albtraum. Was mal Heimat war, ist zu fremd geworden: Für „Am Rand der Städte“ hat die Regisseurin Aysun Bademsoy Migranten in ihren Siedlungen an der türkischen Mittelmeerküste besucht

INTERVIEW HARALD FRICKE

taz: Frau Bademsoy, in Ihrem Film „Am Rand der Städte“ porträtieren Sie türkische Familien, die nach Jahrzehnten in Deutschland mit dem ersparten Geld zurück in ihre Heimat, in eine schicke Wohnsiedlung am Meer, gezogen sind. Ist für diese Menschen ein Traum in Erfüllung gegangen?

Aysun Bademsoy: Die älteren Generationen wollten in die Heimat zurück, dieser Traum war immer da. Aber ich glaube kaum, dass ihre Kinder davon geträumt haben. Für die ist es ein Albtraum, sie bleiben dort Außenseiter, auch in der Schule. Und ich sehe darin noch etwas anderes, einen Nichtort, an dem es keine Arbeit, keinen Alltag und kein Leben gibt.

Oft ist in den Gesprächen Deutschland als Ort, wo man das Glück suchte, weiter präsent.

Sogar viel präsenter als die Türkei, die eher eine Illusion aus Palmenstraßen und Strand, Hochhäusern und Swimmingpools ist. In dieser abgeschotteten Welt bleibt Deutschland überall spürbar. In den Möbeln, die man mitgebracht hat, oder auf Fotos und Postkarten von hässlichen Einkaufszentren, die manche Wohnzimmerwände schmücken.

Wie haben Sie die Familien kennen gelernt?

Ich habe in Bersin, Antalya und Izmir nach Familien mit entsprechenden Biografien recherchiert. Danach bin ich alle zwei Monate da gewesen, habe ihre Geschichten angehört und schließlich die endgültige Auswahl getroffen.

Sind es denn viele Menschen, die ihren Lebensabend so verbringen?

Ja, nicht nur „Deutschländer“, auch Familien, die aus Holland zurückgekehrt sind. Mittlerweile ziehen selbst holländische Rentner in diese Siedlungen am Meer.

Ein Mallorca auf Türkisch?

Es ist eine Idylle, für die manche ihr Leben lang gearbeitet haben. Der Film dreht sich um genau dieses Thema: In Deutschland hatte man die ganze Zeit ein Bild von der Heimat vor Augen. Dann ist man zurückgekehrt, aber eben nicht in die Städte, sondern an deren Rand. Ohne dort noch richtigen Anteil am täglichen Leben zu haben. Das spürt man bei dieser Generation.

Fehlt der Mut zum Neubeginn?

Die Menschen haben das Wagnis ja bereits einmal auf sich genommen, als sie nach Deutschland aufgebrochen sind. Nun kehren sie heim, mit ihren Reichtümern und ihrem Kapital, um sich wie in einer Burg abzuschotten. Sie bleiben für sich, als „Deutschländer“ eben.

Das ist ein Schimpfwort?

Das ist ein Schimpfwort, aber für sie selbst ist es keine bloße Klassifizierung, sondern eine Identität. Während all der Jahre in Deutschland wurde nicht über die Konsequenzen nachgedacht, die ein solcher Wechsel mit sich bringt. Dann fehlt plötzlich das soziale Umfeld, und viele vereinsamen. Dabei könnten sie gerade jetzt ihre freie Zeit nutzen, essen gehen und andere Leute treffen.

Spielt nicht auch das Milieu eine Rolle, in dem sie vorher in Deutschland gelebt haben?

Ja, ganz sicher. Eine der Frauen hatte in Deutschland mehrere Boutiquen, das ist etwas völlig anderes als die engen Verhältnisse, wie man sie aus einigen Berliner Bezirken kennt. Viele Familien, die ich in Bersin getroffen habe, waren schon durch ihre Arbeit stark gesellschaftlich eingebunden im deutschen Alltag, der zudem oft auch kleinstädtisch war.

Ist der Film deshalb so weit weg von der „Problemzone“ Migration?

Mir ging es vor allem darum, was diese Familien voneinander unterscheidet. Erst dabei ist mir klar geworden, dass sich in diesen Äußerungen ein hoher Bildungsstand und eine bestimmte Vorstellung von Komfort und Kultur niederschlagen. Wie sollte es auch anders sein – bei den Preisen, die sie für die Wohnungen bezahlt haben? Gegenüber dem Klischee des Türken vom Dorf ist das eine Brechung, die mir gut gefällt. All diese Leute könnten ebenso gut in Südfrankreich in ihren Sommerhäusern leben. Es gibt hier keine Kopftuchträgerinnen, die Frauen laufen auch nicht drei Meter hinter ihren Männern her, für solche Bilder würde man sich in dieser Gegend eher schämen.

Stattdessen zeigt der Film vor allem selbstbewusste Frauen. Haben sie diese Stärke in Deutschland gelernt?

Ich kenne nur solche türkischen Frauen. Das fängt mit meiner Mutter an, die damals beschlossen hat, nach Deutschland zu gehen. Auch bei den Familien im Film war es meistens die Frau, die die Entscheidung getroffen hat, während die Männer einfach mitgegangen sind. Das ist wieder so ein Bruch mit den gängigen Vorstellungen von türkischen Familienstrukturen.

Zum Schluss des Films lassen Sie alle einträchtig auf dem Sofa sitzen.

Das hat für mich als Bild der Sesshaftigkeit etwas sehr Souveränes. Und im Hintergrund tickt die deutsche Kuckucksuhr.

Gibt es auch neue soziale Zusammenhänge unter den Rückkehrern?

Vor allem Solidarität. Man hat nicht nur eine gemeinsame türkische Herkunft, man hatte auch ähnliche Vergangenheiten in Deutschland. Außerdem können alle nicht wieder nach Deutschland zurück. Das fand ich ziemlich enttäuschend: Sie haben hier gearbeitet, haben das Land mit ihren Steuergeldern mitfinanziert, und nun bekommen sie Schwierigkeiten, wenn sie ihre Enkel besuchen wollen. Insofern hat es diese Generation verpasst, sich politisch zu organisieren, Forderungen zu stellen. Sie sind einzeln nach Deutschland gekommen – und einzeln sind sie auch zurückgekehrt.

„Am Rand der Städte“. Regie: Aysun Bademsoy. D 2006, 83 Min. 16. 2., 19 Uhr Delphi; 17. 2., 10 Uhr CinemaxX 3; 19. 2., 17.30 Uhr Arsenal 1