Sarrazin spielt den Hausherrn

Der Streit zwischen SPD-SenatorInnen und Linkspartei über die geplanten Wohnungsverkäufe wird immer heftiger. Der Finanzsenator beharrt auf den Veräußerungen. Die Linke fühlt sich getäuscht

VON MATTHIAS LOHRE

Die ParlamentarierInnen waren geschockt. So schlecht, so unkoordiniert hatten sie sich den Umgang mit der hoch verschuldeten Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) nicht vorgestellt. Von „gravierenden Schwächen“ sprach Carl Wechselberg (Linkspartei) nach der gestrigen Ausschusssitzung zur Lage der Wohnungsgesellschaft. Die SPD-SenatorInnen Thilo Sarrazin (Finanzen) und Ingeborg Junge-Reyer (Stadtentwicklung) hatten den Abgeordneten offenbart: Das landeseigene Unternehmen steckt weit tiefer in der Krise als von vielen erwartet. Die Linkspartei-Fraktion fühlt sich vom Senat übergangen. Damit spaltet der Streit über die Zukunft der WBM die Koalition immer tiefer.

SPD-SenatorInnen und Linkspartei-Fraktion stehen sich in diesem Punkt immer unversöhnlicher gegenüber. Der Finanzsenator verteidigte erneut den Plan des WBM-Aufsichtsrats, bis zu 15.200 der rund 30.000 Wohnungen zu veräußern. Sarrazin und Junge-Reyer sitzen als SenatsvertreterInnen in dem Gremium. Die massiven Verkäufe von Wohnungen in Kreuzberg, Friedrichshain, Mitte und Spandau sollen den Zusammenbruch des mit 1,2 Milliarden Euro verschuldeten Landesunternehmens abwenden.

Dem gegenüber zeigen sich viele LinksparteilerInnen immer wütender: „Der Senat wollte die Wohnungsverkäufe an uns und der SPD-Fraktion vorbeimanövrieren“, sagt der Haushaltspolitiker Carl Wechselberg. Nicht nur die von 10.000 auf bis zu 15.200 gestiegene Zahl zu verkaufender WBM-Wohnungen habe er aus der Presse erfahren. Dasselbe gelte für die Entscheidung, 2.400 Gesobau-Wohnungen im Märkischen Viertel zu verkaufen sowie 1.800 „Stadt und Land“-Wohnungen in der Neuköllner High-Deck-Siedlung.

Sarrazin zeigte sich davon unbeeindruckt. Er sehe „keine Möglichkeit, bereits getroffene Entscheidungen wieder außer Kraft zu setzen“. Nach der nichtöffentlichen Ausschusssitzung sagte der Finanzsenator, noch stehe nicht fest, wie viele WBM-Wohnungen genau verkauft werden müssten. Weniger als 10.000, das sei aber kaum realistisch.

Die Linkspartei will sich mit den geplanten Wohnungsverkäufen nicht abfinden. Die Abgeordnetenhausfraktion fordert vom Senat einen Sanierungsplan für die WBM und ein Gesamtkonzept für alle sechs landeseigenen Unternehmen, die rund 275.000 Wohnungen verwalten.

„Wir verlieren beispiellos an Beständen ertragsstarker Toplagen“, klagt Wechselberg. „Erschreckend“ findet er es, dass der Senat viele Sanierungsalternativen bislang nicht geprüft habe. „Was ist beispielsweise mit Verkäufen von Gewerbeimmobilien wie dem aufwändig sanierten Haus des Lehrers oder den Rathauspassagen? Diese Frage hat noch niemand gestellt“, sagt der Haushaltspolitiker.

Falsch, konterte gestern die Finanzverwaltung in einer schriftlichen Erklärung. Seit 2005 seien „Eckpunkte“ eines Sanierungskonzepts für die WBM „öffentlich bekannt“. „Mehrfach und umfassend“ sei im Abgeordnetenhaus über die kritische Unternehmenslage berichtet worden. Heute, in einer aktuellen Stunde, geht der Koalitionsstreit weiter.