Front der Skeptiker

VON CHRISTIAN FÜLLER
UND LUKAS WALLRAFF

So viel und so schroffe Ablehnung war nie. Schon bevor Vertreter der großen Koalition und der Länder gestern Abend die Föderalismusreform als Gesetzentwurf zum Abschluss brachten, taten sich die Vorsitzenden dreier Bildungsorganisationen zusammen – und ließen kein gutes Haar an der Reform.

„Das ist eine Machtdemonstration der rot-schwarzen Koalition auf Kosten der SchülerInnen“, sagte der Vorsitzende der größten Lehrergewerkschaft GEW, Ulrich Thöne. „Die ohnehin beschränkten Kompetenzen des Bundes in der Bildungspolitik werden weiter beschnitten“, schimpfte er. Die Forderung von Thöne und seiner beiden Mitstreiter, Ludwig Eckinger und Wilfried Steinert: sofortiger Stopp der unsinnigen Bildungsvereinbarungen. Denkpause. Einbeziehung der Bürger in die Grundgesetzänderung.

Von einer Denkpause wollten die Spitzen der großen Koalition gestern Abend jedoch nichts mehr wissen. Man habe jetzt eine „politische Verständigung“ erreicht, verkündete CDU-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen, nachdem sich eine große Runde mit Fraktionschefs, Ministern und Ministerpräsidenten noch einmal über die im Koalitionsvertrag vereinbarte Neuordnung der Zuständigkeiten gebeugt hatte. Nun, so gab sich Röttgen sicher, sei „die bedeutendste Verfassungsreform in der Geschichte des Grundgesetzes“ unter Dach und Fach. Die Verfassungsänderungen sollen schon am 10. März in Bundestag und Bundesrat eingebracht werden.

Details der Einigung waren bis Redaktionsschluss nicht bekannt. Die ersten Äußerungen klangen allerdings nicht so, als habe es noch gravierende Änderungen in den umstrittensten Bereichen Umwelt und Bildung gegeben. SPD-Verhandler Olaf Scholz sprach davon, man habe sich gestern vor allem darüber verständigt, wie „Übergangsregelungen“ im Verwaltungsrecht aussehen sollten.

Wichtigster Antrieb für die Reform war, die Blockademöglichkeiten des Bundesrats zurückzudrehen; zurzeit kann die Länderkammer fast zwei Drittel der Beschlüsse des Bundestags anhalten. Im Gegenzug sollten die Länder mehr Zuständigkeiten enthalten. Doch Interessengruppen gerade von Umweltverbänden und Bildungsexperten können nichts Zukunftsweisendes mehr an der Reform entdecken (siehe Interview). Auch im Bundestag ist ein Grummeln nicht mehr zu überhören. Die Frage ist: Wie lange lassen sich die Koalitionsfraktionen noch als Abnicker missbrauchen – mit dem Verweis auf den staats- und koalitionstragenden Charakter der Reform?

Die wichtigsten Fragen wurden in Spitzenrunden entschieden. „Wir wissen derzeit nicht, wer die Zügel in der Hand hält“, rätseln selbst Abgeordnete mit Sprecherfunktion. Zugleich hielt dieser Umstand die Reform bislang unangetastet – denn niemand im Parlament weiß genau, wohin die wachsende Kritik zu adressieren ist.

Kaum einer der innerkoalitionären Kritiker macht sich Hoffnung, noch vor der parlamentarischen Beratung etwas ändern zu können. „Das Paket wird nicht aufgeschnürt“, heißt die Durchhalteparole etwa von Hartmut Koschyk (CSU), einem der parlamentarischen Geschäftsführer der Union. Oder: „Kein Komma wird geändert.“

Diese Maxime aber scheint nicht haltbar. Die Abgeordneten werden sich nicht verbieten lassen, weder vor noch während der parlamentarischen Beratung Änderungen anzubringen. Sobald der Gesetzentwurf eingebracht ist, so sagt es die Vorsitzende des Bildungsauschusses, Ulla Burchardt (SPD), gilt die Souveränität des Bundestages. „Alles andere wäre handwerklich unsauber und demokratisch nicht vertretbar.“