Die Anliegen des Altmeisters

Studie zu Macht und Moral: In Claude Chabrols „L’ivresse du pouvoir“ (Wettbewerb) wächst alles – die Büros, der Verfall, die Schlaflosigkeit

VON BRIGITTE WERNEBURG

Die hinreißende Geste, mit der sich Humeau (François Berléand), Präsident einer Unternehmensgruppe, mit seinem Handy den Bart kratzt, verrät ihn gleich in der ersten Szene als Verlierer. Das Lakonische wie Komische daran bestimmt eine Inszenierung, deren Eleganz ihr Anliegen vermeintlich Lügen straft.

Nun sitzen wir aber wieder einmal in einem Chabrol, und der Altmeister inszeniert selbstverständlich nichts als sein Anliegen. „Geheime Staatsaffären“ will weder psychologisches Kammerspiel noch moralisches Drama sein. „L’ivresse du pouvoir“ ist eine durch und durch formalästhetische Studie zur Frage von Macht und Moral. Korruption und Machtmissbrauch in Politik, Management, last not least Justiz, verraten sich durch Gesten und Haltung, Schweigen und Reden, durch wachsende Büros, denen wachsender körperlicher Verfall und Schlaflosigkeit entsprechen.

Natürlich ist Isabelle Huppert die Schauspielerin schlechthin für diese Oberflächenrecherche, die unweigerlich in die Tiefe geht. Ihre Richterin, Jeanne Charmant-Killman, scheint sich zunehmend rücksichtslos an der Macht zu berauschen, die ihr in ihrem neuesten, vermeintlich wasserdicht recherchierten Fall erwächst. Ihr Spiel mit den absolut fantastischen roten Handschuhen, die sie auch gerne mal fallen lässt, genauso wie ihre teuren Handtaschen, die sie gleich zweifach mit sich trägt, sprechen ebenso deutlich von ihrer Arroganz wie die süffisante Art ihrer Vernehmungen. Doch die Handschuhe verschwinden im Verlauf der Untersuchungen, und die Taschen scheinen die zierliche Figur mehr und mehr zu Boden zu ziehen. Die Drahtzieher aber genießen ungerührt ihre dicken Zigarren und geben sie an Jünglinge weiter. Es muss zum Lauf der Dinge nicht mehr gesagt, besser: mehr gezeigt werden.

Doch so radikal will oder kann Chabrol nicht vorgehen. Was wäre eine Frau ohne Mann, der das Leben ohne Frau nicht zu ertragen glaubt? Die Kosten der Macht wollen benannt sein, die Selbstgerechtigkeit des Dienens, das zum Herrschen wird und zum Verlust der Welt führt, dem Verschwinden der lustigen, provokanten roten Handschuhe. Und es müssen die Intrigen der herrschenden Klasse erzählt werden, die der richterlichen Macht ihre Grenzen aufzeigt, umständlich und langatmig, was die raffinierte Ästhetik der Bilder dann doch nicht immer wettmachen kann.

„L’ivresse du pouvoir“. Regie: Claude Chabrol, F/D 2006, 108 Min. 17. 2., 12 Uhr Urania; 17. 2., 20 Uhr International; 17. 2., 23.30 Uhr Urania