„Ein urdemokratischer Vorgang“

Bürgerbegehren-Experte Michael Efler lobt die Initiative der taz, selbst Unterschriften für eine Dutschke-Straße zu sammeln. Nur eines kritisiert er an der Aktion: ausgerechnet die Überschrift

Interview ULRICH SCHULTE

taz: Herr Efler, die taz nimmt das Bürgerbegehren der CDU gegen die Rudi-Dutschke-Straße nicht widerspruchslos hin – und sammelt selbst Unterschriften für die Umbenennung. Was halten Sie von der Idee?

Michael Efler: Ich halte dies für einen urdemokratischen Vorgang. Die taz reagiert auf eine demokratische Initiative mit einer weiteren demokratischen Initiative. Sie provoziert damit eine öffentliche Diskussion, was ein Ziel der Bürgerbegehren ist. Nur über den Zeitpunkt wundern wir uns ein bisschen. Denn der Meinungskampf, der zur Entscheidung führt, beginnt ja erst im eigentlichen Bürgerentscheid (siehe Kasten). Aber dann muss die taz eben zweimal mobilisieren.

Kein Problem. Hat es so einen Wettstreit eigentlich schon mal gegeben?

Da muss ich Sie enttäuschen, ganz neu ist Ihre Idee nicht. Das Phänomen einer Gegensammlung ist sehr selten, aber in Bayern kam das zum Beispiel ab und zu vor.

Mal unter uns: Beide Seiten betreiben ja auch kräftig Werbung in eigener Sache mit dem Wettstreit. Ist das eine Instrumentalisierung?

Na ja, wenn Initiativen Bürgerbegehren starten, sind da immer mehrere Motive im Spiel. Die CDU betreibt Wahlkampf, die taz hat ein tolles Marketingthema entdeckt – das ist aber völlig legitim. Außerdem ist bei dem Instrument ein Kampagnenschutz gleich eingebaut. Eine gewisse Mobilisierungsfähigkeit hilft vielleicht im ersten Schritt, beim Unterschriften sammeln für die Zulassung des Entscheids. Im zweiten Schritt sind aber alle Wahlberechtigten zur Stimmabgabe aufgerufen – da ist gezielte Einflussnahme nicht möglich. Das Einzige, was ich an der taz-Aktion kritisieren würde …

wenn’s sein muss …

… ist, dass Sie Ihre Sammlung auf den Listen klipp und klar mit dem Wort „Bürgerbegehren“ überschreiben. Das stimmt ja so nicht. Die Sammlung ist nicht formal angemeldet und hat keinerlei rechtliche Verbindlichkeit.

Genau das steht ja im Text auf der Unterschriftenliste.

Gut, aber die Leute schauen auf die Überschrift. Diesen Punkt sollten Sie immer wieder klar herausarbeiten. Davon abgesehen eignet sich das Thema Rudi-Dutschke-Straße aber wunderbar für ein Bürgerbegehren und die Debatte darüber. Es ist umstritten, regt zu Diskussionen an und muss im Bezirk entschieden werden.

Ganz grundsätzlich: Was spricht überhaupt für Bürgerbegehren? In den Bezirksparlamenten sitzen doch kluge, demokratisch gewählte Menschen.

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Dieses Prinzip der Volkssouveränität ist im Grundgesetz festgelegt. Sie haben Recht, mit dem Wahlrecht wurde den Bürgern eine sehr wichtige Entscheidung in die Hände gelegt. Aber es ist unlogisch, den Bürgern die Entscheidung über Politiker und Parteien zuzutrauen, sie aber bei allen Sachfragen außen vor zu lassen. Der Widerspruch leuchtet nicht ein, und genau da setzen Bürgerbegehren an.

Funktionieren sie auch als Kontrollinstrument?

Sicher. Allein die Drohung mit einem Bürgerbegehren kann ein lahmes Bezirksamt auf Trab bringen. Wenn Sie so wollen, ist die Wahlentscheidung sehr grob, sie reicht deshalb als Mitbestimmungsinstrument nicht aus. Jeder kennt die Erfahrung, dass die gewählte Partei in wichtigen Fragen plötzlich anders entscheidet als versprochen. Bürgerbegehren füllen dieses Vakuum und führen so zu einer Repolitisierung der Gesellschaft.

Wie das? Die Wahlbeteiligung stagniert seit Jahren auf niedrigem Niveau.

Natürlich wirkt das Instrument keine Wunder. Aber die Erfahrung zeigt, dass es die BürgerInnen aktiviert. Ein Beispiel ist Bayern: In der Hälfte der dort gestarteten Initiativen engagierten sich Menschen, die vorher nicht politisch aktiv waren. Die Politisierung gelingt vor allem dann, wenn es um eigene Interessen geht – und das ist ja bei den Begehren in den Bezirken der Fall. Eine Straßenumbenennung vor der eigenen Haustür regt eben Diskussionen an.

Noch mal zum Wettbewerb taz versus CDU: Hat sich die Kreuzberger Union eigentlich bei Ihnen beraten lassen?

Nein. Wir haben uns mal selbst an die Junge Union gewandt, aber es gab keine Rückmeldung.

Wie geht der Wettbewerb aus?

Es wird auf jeden Fall sehr spannend. Ich hoffe sehr, dass es zu einem Bürgerentscheid kommt. Es ist eine schöne, nicht zu komplizierte Thematik, die klar mit Ja oder Nein entschieden werden kann.

Wird die CDU die nötigen knapp 5.000 Unterschriften im Bezirk zusammenbekommen?

Ja. Ein Versagen kann sie sich auch gar nicht leisten. Es wäre unglaublich peinlich. Die Partei hat die Umbenennung zum Wahlkampfthema gemacht – auch auf Landesebene. Das hat der Auftritt des Spitzenkandidaten Friedbert Pflüger gezeigt.

Wird die taz die 5.000er-Marke schaffen?

Ich glaube schon. Aber in der Sache heißt das nichts. Sie dürften sich dann nicht entspannt zurücklehnen. Die richtige Abstimmung in allen Ecken des Bezirks folgt ja erst im Bürgerentscheid. Aber dann unterhalten wir uns noch mal.