Schulpflicht zur sozialen Integration

Amtsgericht verurteilt Eltern zu einer Geldstrafe, die ihre Kinder aus religiösen Gründen nicht zur Schule schicken. Richter: „Sie werden es einmal schwer haben im Leben.“ Die Schulpflicht durchsetzen aber muss die Behörde – und notfalls die Polizei

Von ELKE SPANNER

Es geht auch darum, die Bildung „religiöser Parallelgesellschaften“ zu verhindern. Das hat gestern der Staatsanwalt betont, der die Eheleute Frauke und André R. wegen Verstoßes gegen das Schulgesetz angeklagt hatte. Die Pflicht für Kinder und Jugendliche, zur Schule zu gehen, bedeute weit mehr als die „reine Wissensvermittlung: Sie ist auch zentraler Bestandteil der Integration“, sagte er in seinem Plädoyer. Dem schloss sich das Altonaer Amtsgericht an. Es verurteilte das Ehepaar aus Othmarschen zu einer Geldstrafe von insgesamt 840 Euro, weil es die drei schulpflichtigen Töchter seit dem Herbst 2001 nicht mehr zur Schule geschickt hat.

Die Familie beruft sich darauf, dass der Besuch einer staatlichen Schule mit ihrem christlichen Glauben unvereinbar sei. Das Gericht aber erkannte keine tiefe religiöse Not, sondern einen Schulboykott der Eltern, weil „Sie mit dem Schulsystem unzufrieden sind. Das hat Mängel, das ist uns allen klar. Aber das ist kein religiöser Gewissenskonflikt.“

Frauke und André R. hatten zuvor mit dem „christlichen Erziehungsauftrag“ argumentiert, den nur sie als Eltern erfüllen könnten. Sie haben sechs Kinder, die drei ältesten Töchter sind zwischen zehn und 14 Jahren. Die wollten selbst zu Hause unterrichtet werden, beteuerte André R. „Selbst wenn ich sie zur Schule schicken würde, würden sie die erste Pause nutzen, um wieder da wegzukommen“, so der 43-Jährige. Außer den Gründen, welche die Bibel ihnen liefere, seien schon die schlechten Ergebnisse deutscher Schulen bei der Pisa-Studie und die Gewalt unter Jugendlichen Grund genug zur Schulverweigerung.

Obwohl das Hamburger Schulgesetz eindeutig ist, stand eine Verurteilung der Eltern nicht von vornherein fest. Zwar ist unbestreitbar, dass es die Schulpflicht gibt und dass André und Frauke R. seit 2001 gegen diese verstoßen haben. Unter zwei Bedingungen aber hätte das Gericht trotzdem von einer Strafe abgesehen: Wenn die Eheleute sich zum einen in einer religiös motivierten, „unerträglichen Pflichtenkollision“ befunden und zum anderen nachgewiesen hätten, dass sie für ihre Töchter ein „adäquates Surrogat“ zur Schule geschaffen haben. Das Gericht hat ihnen die Möglichkeit gegeben, einen exakten Stunden- und Lehrplan vorzulegen, nach dem die Kinder zu Hause unterrichtet werden.

Stattdessen hatte Frauke R. vom Biologieunterricht vor dem Kaninchenstall im Garten geschwärmt („Da stehen wir daneben und freuen uns, wie das Männchen das Weibchen ableckt“) und von physikalischen Erklärungen beim Überschwappen der Nudelsuppe. „Die Kinder lernen auch Windelwechseln und Haareschneiden, alle täglichen Dinge. Das ist einfach schön“, sagte die 38-Jährige. Dem Richter reichte das als adäquater Ersatz eines Schulbesuches nicht aus: „Es muss mehr passieren, als Kindern anhand von Alltagssituationen die Welt zu erklären.“

Die Schulpflicht, sagte der Richter, sei kein „Bildungsangebot“, das zur Disposition der Eltern stehe. Sie wäre auch geschaffen worden, um die „soziale Absonderung von Minderheiten“ zu verhindern: „Kinder haben das Recht, sich eigenverantwortlich zu entwickeln“, erklärte er der Familie. Dazu gehöre aber auch, vielfältige Denk- und Lebenskonzepte kennen zu lernen, und das sei den Töchtern und dem Sohn von Frauke und André R. durch ihre Isolation zu Hause verwehrt. „Ihre Kinder“, prophezeite der Richter, „werden es im Leben später sehr schwer haben.“