Offizier gab sich als Journalist aus

Die Bundeswehr wusste im Juli 2003, dass die USA vermutlich Unschuldige nach Guatánamo verschleppte. Militärexperte befragte Angehörige unter Vorspiegelungen falscher Tatsachen. Der Bericht dazu ist heute angeblich nicht mehr aufzufinden

AUS BERLIN STEFAN REINECKE

Am 18. Januar 2002 wurden die so genannten Algerian Six aus Bosnien-Herzegowina ins US-Gefangenenlager Guantánamo verschleppt. Die sechs Männer hatten im Verdacht gestanden, zu al-Qaida zu gehören. Sie waren vor Gericht gekommen, und der Oberste Gerichtshof Bosniens hatte sie aus Mangel an Beweisen freigesprochen. In der Nacht zum 18. Januar erschienen US-amerikanische SFOR-Soldaten, die sie verhafteten. Die sechs sind bis heute, obwohl immer noch kein Beweis ihrer Schuld vorliegt, in Guantánamo inhaftiert.

Im Sommer 2003 befragte ein Bundeswehroffizier die Angehörige eines Verschleppten, Anela Kobilica. Der Offizier beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) gab sich damals als Journalist aus – ein grober Verstoß gegen die Dienstvorschriften. Diesen Fall enthüllte die Tagesschau im Dezember 2005. Es gibt den Verdacht, dass diese Camouflage, die die Grenze zwischen Militär und Presse verwischt, kein Einzelfall war.

Doch zweifelhaft war nicht nur die Art der Informationsbeschaffung durch die Bundeswehr – ebenso fragwürdig war, wie die Behörden mit den Informationen danach umgingen. Ursprünglich sollte die MAD-Recherche Informationen über Terrorverbindungen ans Licht bringen – doch das Ergebnis im Fall der Algerian Six fiel anders aus.

Der Bericht, der im Juli 2003 von der Abteilung „FHT GE-IT Battle Group“ des MAD verfasst wurde, kommt zu dem Schluss, dass es „tatsächlich Hinweise für eine eventuelle ungerechtfertigte Festnahme und für eine zumindest höchst zweifelhafte Deportation“ der Algerian Six gebe.

Kurzum: Die Bundeswehr wusste bereits im Sommer 2003 aus eigenen Quellen, dass US-Organisationen vermutlich unschuldige EU-Bürger nach Guantánamo verschleppten. Doch der Bericht, so der Berliner Militärexperte Otfried Nassauer „ist offensichtlich nicht beachtet, falsch bewertet oder vorsichtshalber aus dem Verkehr gezogen worden“.

Der MAD-Mann empfahl zwar, dass der Bericht „den entsprechenden Fachleuten der deutschen Botschaft“ zur Verfügung gestellt werden solle, um ein weiteres Vorgehen zu koordinieren. Doch es geschah nichts: kein Protest gegen den Missbrauch der SFOR durch die USA. Kein Versuch, auf die USA im Hinblick auf eine Freilassung einzuwirken.

Der Bericht wurde, laut Tagesschau, nach Angaben mehrerer Zeugen allerdings in den „nationalen deutschen Informationskanal“ eingegeben. Dies bedeutet: Die deutschen Behörden, nicht nur Bundeswehrorganisationen hatten (noch vor der Entführung des Deutschlibanesen Khaled al-Masri) Hinweise darauf, dass zum Antiterrorkampf der USA auch die illegale Verschleppung von EU-Bürgern zählte.

Doch die Neigung, in Sachen Guantánamo aktiv zu werden, war gering. Das Verteidigungsministerium behauptet heute, den Bericht nicht finden zu können. Es werden nicht alle Berichte archiviert, so die Antwort.