Die Kunst der Lüge

Keine andere US-Regierung war bislang so bewandert in der Kunst der Lüge wie diese: Versuch einer Typologie in einem vorläufig noch nicht abgeschlossenen Sammelgebiet

Sehr beliebt ist das „Trojanische Pferd“: das Lobbying, in anderen Kulturen auch Bestechung genannt

Mein neuestes Hobby ist das Sammeln von Regierungslügen – insbesondere jenen meiner Regierung – „die Traurigen Tropen“ der Lügenforschung. Meine Regierung ist zum Beispiel äußerst begabt im Lügen à la Polonius: der Kunst der Zusammenhangslosigkeit. Das ist die Kunst, mit einem breiten, geistreichen Grinsen etwas zu sagen, das so falsch wie idiotisch ist. Ein Beispiel hierfür wäre Präsident Bush, der, als New Orleans nach dem Hurrikan „Katrina“ unter den Wassermassen abzusaufen drohte, sagte, dass der Leiter des nationalen Krisenmanagements einen „verdammt guten Job“ mache. Jüngst versprach Bush in einer Rede zur Lage der Nation, die Mittel zur Förderung alternativer Energieträger zu erhöhen. Tatsächlich kürzte er die Forschungsgelder, und das Nationale Labor für erneuerbare Energien musste seine Mitarbeiter entlassen.

Zu den uramerikanischen Formen der Lüge gehört es, zu behaupten, jemand zu sein, der man nicht ist – mit einer Aufrichtigkeit, als wäre man es. Samuel Alito erzählte unlängst dem Obersten Gerichtshof und der Öffentlichkeit, sein Vater habe einst am College einen dunkelhäutigen Basketballspieler gegen Diskriminierung verteidigt. Doch die New York Times berichtete, dass „Freunde und Kollegen des älteren Herrn Alito sagten, sie hätten nie eine der Geschichten gehört, die der Sohn verbreitete, auch nicht die Episode über die Unterstützung für einen dunkelhäutigen Studenten.“

Eine weitere Sorte der Verlogenheit ist das Trojanische Pferd: Der Betrug durch Geschenke, in den USA als Lobbying bekannt, in anderen Kulturen als Bestechung. Seit die Republikaner 1994 die Kongressmehrheit errangen, hat sich das Geschäft mit der Beeinflussung von Abgeordneten verdoppelt: Inzwischen ist es auf 4 Milliarden Dollar angewachsen und bietet Arbeit für rund 28.000 Lobbyisten. Um professionell Einfluss zu nehmen, muss man den Kongress mit Geschenken überhäufen und gleichzeitig ein Gefühl von Unschuld vermitteln.

Ein erfahrener Staatsmann auf dem Gebiet des Trojanischen-Pferd-Betrugs ist Tom DeLay. Er musste sein Amt als Vorsitzender der Republikanischen Mehrheit niederlegen, als er angeklagt wurde, Firmengelder in die Kampagnenkassen der texanischen Republikaner geleitet zu haben. Sein hervorragender Ruf rührt von seinem Einsatz bei den Washingtoner Lobbyisten, die er dazu brachte, lediglich mit den Republikanern zu verkehren – so konnten die Demokraten nicht bestochen werden. Und wenn man in Washington nicht bestochen werden kann, hat man überhaupt keinen Einfluss. Ungefähr zwei Drittel der Firmengelder fließen inzwischen in Lobbyfirmen, die von den Republikanern beherrscht werden.

Auch DeLays enger Freund Jack Abramoff war ein führender Lobbyist und steht inzwischen wegen Steuerhinterziehung und Betrugs vor Gericht. Doch beide leugnen jedes Fehlverhalten: DeLay behauptet, die Anklage des Staatsanwalts wegen Betrug sei selbst ein Betrug. Abramoff erklärte, er sei lediglich gut in seiner Arbeit.

Die größte Kategorie in meiner Lügensammlung machen jedoch die Houdini-Lügen aus: Das ist die Kunst des verschwundenen Beweismittels. Das Ziel ist, belastendes Beweismaterial aus der Welt zu schaffen. Es scheint dann so, als habe man gar nichts getan und müsse sich deshalb auch nicht in Lügen verstricken. So hat zum Beispiel das Weiße Haus seit dem Abramoff-Skandal alle Fotoaufnahmen gesucht, auf denen Bush und Abramoff gemeinsam zu sehen sind – eine Hommage an die Sowjets und ihr Heer von Fotoretuschierern. Sobald diese Bilder gefunden werden, kann Bush sie verschwinden lassen. Darüber hinaus weigert sich das Weiße Haus beständig, dem Untersuchungsausschuss die Aufzeichnungen seiner Debatten zum Hurrikan „Katarina“ auszuhändigen. Und: In seiner ersten Regierungsperiode hielt Bush die Zugehörigkeit und die Unterlagen der von Dick Cheney geführten Energiekommission vor dem Kongress geheim. Jene Komission ist auch für die auf Öl fixierte Energiepolitik der USA verantwortlich und könnte vielleicht etwas mit den gekürzten Forschungsgeldern auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien zu tun haben.

Das größte Bereich der Houdini-Lügen ist aber der Irakkrieg. Bush hat nicht nur im Bezug auf die Massenvernichtungswaffen und Saddams angebliche Verbindungen zu al-Quaida gelogen. Er hielt auch seine tägliche Korrespondenz und die Berichte zurück, die seiner Kriegsbegründung widersprachen – darunter auch die Berichte der deutschen Regierung. Der Senat, übrigens selbst in der Houdini-Lügerei gut bewandert, ließ seinen Geheimdienst die Existenz von Massenvernichtungswaffen überprüfen. Er versprach einen zweiten Bericht zu der Frage, ob das Weiße Haus die Bevölkerung absichtlich getäuscht hat, doch der Bericht wurde nie erstellt. Cheney weigerte sich, dem Senat die relevanten Dokumente zu übergeben. Der vom Präsidenten eingesetzte Geheimdienst zur Vorkriegsfaktensammlung berichtete ebenfalls über grobe Fehler. Aber sie waren auch angewiesen, nichts den Obersten anzukreiden. Ihr Bericht erwähnte weder die unabhängige Geheimdienstabteilung an der Spitze des Pentagons, die dem Weißen Haus die ganze Geschichte mit den Massenvernichtungswaffen untergejubelt hatte, noch erwähnte der Bericht die von Cheney und Karl Rove geführte geheime Abteilung des Weißen Hauses, die die Nachrichten an die Presse und die Bevölkerung weitergaben.

Die Erklärungen der Regierung zum Irak sind auch häufig mit Lügen gespickt, die auf Wunschdenken beruhen. So besteht Bush darauf: Die Lage im Irak wird immer stabiler. Aber Wunschdenken gibt es auch in der Innenpolitik. Als deutlich wurde, dass Bush die nationale Sicherheitsabteilung angewiesen hatte, Amerikaner ohne richterliche Befugnis auszuspionieren, sagte er ganz ruhig, dies wäre „durchaus mit dem Gesetz vereinbar“ – obwohl die Spionage dem 1978 verabschiedeten Foreign Intelligence Surveillance Act widerspricht. Darin werden die Zuständigkeiten der CIA und die Kontrolle durch Kongressausschüsse geregelt.

Die größte Kategorie sind Houdini-Lügen: Das ist die Kunst des verschwundenen Beweismittels

Cheney verteidigte die Bespitzelung auch, indem er sagte, dass man damit den 11. September hätte vermeiden können. Doch laut Statuten der nationalen Sicherheitsabteilung ist die Regierung dazu nicht befugt.

Am 10. September 2001 hörten sie (legal) arabische Mitteilungen ab, die besagten: „Das Spiel beginnt“, und „Morgen ist null Uhr“. Diese Nachrichten wurden erst am 12. September übersetzt. Daran merkt man, wie Cheney Lügen auf der Basis von Wunschdenken mit Lügen à la Polonius kombiniert. Dies ist eine hohe Kunst der Verlogenheit, charakteristisch für das späte Römische Reich und andere scheiternde Demokratien.

Wenn meine Mittel nicht gestrichen werden, forsche ich weiter, auch über die nächsten Wahlen 2008 hinaus, und schreibe dann einen zweiten Bericht auf diesen Seiten. Ich werde ihn auch nicht verstecken oder zerstören, da ich leider nicht über das Geschick der politischen Führung meines Landes verfüge.