Dialog mit Steckenpferd

Ben Hopkins’ Doku „37 Uses For A Dead Sheep“ (Forum) nähert sich einem winzigen Volk im äußersten Osten der Türkei – interaktiv, witzig und deswegen sehenswert

Es gibt Dokumentarfilme wie „Die Geschichte vom weinenden Kamel“, die von sich behaupten, sie seien in Zusammenarbeit mit ihren Helden entstanden. Und es gibt Dokumentarfilme, die das wirklich tun. Zu Letzteren gehört „37 Uses For A Dead Sheep“ des britischen Filmemachers Ben Hopkins. Schon in den ersten Minuten weiß man: Es mag sich vielleicht hier nur um irgendein versprengtes, vergessenes und winziges Volk in einem Dorf im äußersten Osten der Türkei handeln – die Art aber, wie man sich diesem Volk gemeinsam mit dem Filmemacher nähert, ist derart interaktiv und humorvoll, dass es einem so vorkommt, als gäbe es gerade kein interessanteres Thema auf dieser Welt.

Was man eigentlich erfahren soll: Dieses kleine Volk aus Kirgisien ist an die 50 Jahre lang, angetrieben von einem ganz eigenen Hass auf den russischen Kommunismus, von der Sowjetunion nach China, nach Afghanistan, nach Pakistan und schließlich in die Türkei geflüchtet. Das ist zwar nicht unspannend, wie man bald zugeben muss, aber es ist lange nicht so spannend wie die Art und Weise, in der das alles aufgeblättert wird. Immer wieder sieht man Szenen „hinter den Kulissen“ – mit der Filmcrew und wie die Filmcrew mit den Dorfeinwohnern verhandelt. In einem amüsant wilden Durcheinander willkürlich gesetzter Kapitel erfährt man, dass Ben Hopkins im Dorf mit einem Koregisseur zusammengearbeitet hat, dass alle nachgestellten Szenen aus der bewegten Vergangenheit des Volkes – meist auf Film gedreht und mit lustigem Projektorgeräusch im Hintergrund – in Zusammenarbeit mit dem Dorf entstanden sind, dass die Dorfeinwohner bei fast allen Szenen mitzureden hatten und manche Szenen verändert oder sie gar verhindert haben.

So ist es nicht nur einfach herrlich lustig, wenn man Zeuge einer langwierigen Diskussion zwischen Dorf und Team über die Form eines angeklebten Schnurrbarts wird oder über das Aussehen der amerikanischen Delegierten, die den Stamm in den Siebzigerjahren in Pakistan besuchten und ihnen ein Exil in Alaska anboten. Man schaut Ben Hopkins dabei zu, wie er mit einer Gruppe alter Männer um einen Haufen Fotos hockt und aufgeregt debattiert, ob die Delegierten eher aussahen wie US-Präsident George W. Bush oder wie einer aus „Men in Black“. Man sieht ihm dabei zu, wie er sich über seine eigene Faszination für die 18 Joghurtsorten lustig macht, die man aus Schafsmilch gewinnen kann – und man weiß: Hier hat einer seinen Lévi-Strauss gelesen, hier hat sich einer sämtliche Fallen gemerkt, in die der ethnografische Dokumentarfilm in den ungefähr 100 Jahren seiner Geschichte immer wieder getappt ist. Ben Hopkins hat nicht einfach einen voyeuristischen Film über ein exotisches Steckenpferd gemacht, er hat mit seinem Steckenpferd geredet – und er hat es so zum Leben erweckt. SUSANNE MESSMER

„37 Uses For A Dead Sheep“. Regie: Ben Hopkins. GB/TR 2006, 89 Min. 18. 2., 15 Uhr Arsenal 1; 19. 2., 16.30 Uhr Delphi Filmpalast