„Der soziale Konflikt wird ethnisiert“

Der Arbeitssoziologe Klaus Dörre über die Angst vor sozialem Abstieg und eine nationalisierte Arbeiterbewegung

taz: Herr Dörre, warum sind gerade junge männliche Arbeiter für rechtsextreme Themen offen?

Klaus Dörre: Man kann die Anfälligkeit für rechtsextreme Themen oder die Wahl rechter Parteien nicht monokausal erklären. Der hohe Anteil rechter Einstellungen ist unabhängig von realen Erfahrungen in der Arbeitswelt.

Warum sind sie es dann?

Zunächst gibt es ein Repräsentationsdefizit. Junge Arbeiter müssen sich mit Hinweis auf ausländische Kollegen anhören, dass sie flexibler und günstiger arbeiten sollen. In ihrer eigenen Wahrnehmung tun sie dies bereits. Dazu beobachten wir eine Auflösung der klassischen Rollenverhältnisse. Früher hieß es, ein Arbeiter müsse seine Familie ernähren. Ein Beschäftigter in prekären Verhältnissen schafft das kaum. Er erfährt dies als „Zwangsfemininisierung“. Rechte Parteien und Organisationen mit ihren auf Autorität und Männlichkeit fixierten Strukturen bieten da Halt. Auch können reale Konflikte zwischen Deutschen und Ausländern in der Arbeitswelt in den Betrieben unterdrückt werden. Der Konflikt zwischen sozialen Gruppen wird zusehends ethnisiert.

Der DGB will mit Jugendlichen an Berufsschulen und in der Ausbildung gegen Fremdenfeindlichkeit vorgehen.

Grundsätzlich ist es gut, in Schulen damit zu beginnen. Von vielen wird die Berufsschule aber als eher lästig angesehen. Das Interesse an Themen wie Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus hält sich bei den Schülern in Grenzen oder schlägt im schlimmsten Fall sogar ins Gegenteil um.

32 Prozent der jungen Gewerkschaftsmitglieder können sich vorstellen, rechtspopulistisch zu wählen.

In den Gewerkschaften gibt es einen defensiven Umgang mit dem Problem. Dabei ist ein Großteil der Arbeiter nicht rechtsextremistisch eingestellt. Aber die Angst vor dem sozialen Abstieg, gepaart mit fehlender Aufklärung und dem Schüren von Vorurteilen begünstigt rechtsextreme Tendenzen.

Gewerkschaften demonstrieren gegen die geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie. Werden dadurch nicht auch antieuropäische und fremdenfeindliche Ressentiments geschürt?

Es gibt eine Nationalisierung der Arbeiterbewegung. Die europäische Vereinigung bietet dafür aber keine reale Basis mehr. Ich halte den Kampf gegen die Aushöhlung des Tarifrechts für notwendig, allerdings sollten Gewerkschaften und Politik auf populistische Töne verzichten.

INTERVIEW: HOLGER PAULER