Gegenwehr mit Demütigung gebrochen

Justizsenator Roger Kusch erneut am Pranger: In Hamburger Gefängnissen werden randalierende Insassen nackt auf Fesselbetten geschnallt. Behörde bestätigt zwei Einzelfälle, Rechtsanwalt weiß von routinemäßiger Praxis

von ELKE SPANNER

Auch in Hamburger Gefängnissen gehört die Demütigung der Insassen offenbar zum Alltag. Die Justizbehörde bestätigte gestern zumindest zwei Fälle, in denen Strafgefangene splitternackt auf Fesselbetten geschnallt worden sind. Und es mehren sich die Hinweise, dass es sich dabei nicht wie behauptet um Ausnahmen, sondern um den routinemäßigen Umgang mit randalierenden Gefangenen handelt. Erkennt auch die CDU-Fraktion hier Aufklärungsbedarf, wird sich Justizsenator Roger Kusch (CDU) auf Antrag der SPD morgen im Rechtsausschuss der Bürgerschaft erklären müssen.

Auf die entwürdigende Praxis ist der Rechtsanwalt Ernst Medecke gestoßen. Drei Mandanten hätten ihm berichtet, nackt auf Fesselbetten geschnallt worden zu sein. Fall eins: Einem Insassen wird im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis von einem Arzt aus Gesundheitsgründen eine zweite Freistunde gewährt. Die Justizbeamten aber verweigern ihm diese. Er randaliert, kommt in die Beruhigungszelle, wird ausgezogen und gefesselt.

Fall zwei: Ein türkischer Mandant kommt in der Strafanstalt Fuhlsbüttel in die „schwere Beruhigungszelle“. Er wird völlig entkleidet, fixiert und 20 Stunden auf dem Fesselbett liegen gelassen. Irgendwann deckt ein Beamter ihn mit einer Decke zu. Als die runterrutscht, bleibt der Häftling weitere Stunden entblößt auf der Pritsche festgeschnallt.

Fall drei: Ende August kommt ein Insasse der Haftanstalt Billwerder in die Beruhigungszelle. Er soll sich ausziehen, was er auch tut. Nur die Unterhose behält er an. Daraufhin halten ihn drei Bedienstete fest, ein vierter zieht ihm auch das letzte Kleidungsstück aus. Erst als etwa eine Stunde später die stellvertretende Anstaltsleiterin hinzukommt, wird er zugedeckt.

Justizsprecher Carsten Grote bestätigt nur zwei der Fälle. In diesen seien die Gefangenen ausgezogen worden, um sie auf gefährliche Gegenstände hin zu untersuchen – wie bei Randalierern üblich. Normalerweise würden die renitenten Insassen anschließend wieder angezogen. Hier aber sei das nicht möglich gewesen, weil sie starke Gegenwehr geleistet hätten.

Anwalt Medecke hingegen hat andere Informationen. Die von ihm benannten Fälle hatten allesamt Strafprozesse zur Konsequenz – weil die Justizbediensteten die Gefangenen wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung anzeigten. In den Verhandlungen sprach der Rechtsanwalt die Fesselungen im nackten Zustand an – und bekam von zwei Justizbeamten bestätigt, dass dieses Vorgehen „nötig“ sei, da Gefangene sonst auf dem Fesselbett ihre Kleidung einkoten würden.

Eine weitere Begründung lieferte der Leiter des Strafvollzugsamtes, Johannes Düwel, dem Rechtsanwalt im Oktober: Er habe bestätigt, so Medecke, dass es eine entsprechende Anweisung der Justizbehörde gebe, damit randalierende Gefangene sich mit ihrer Kleidung nicht selbst Schaden zufügen oder gar töten.

Begründung Nummer drei: Als der rechtspolitische Sprecher der GAL-Fraktion, Till Steffen, die neue Haftanstalt in Billwerder und auch die Beruhigungszellen besichtigte, habe ihm dort ein Beamter erklärt, dass die Gefangenen stets zum Ausziehen gezwungen würden. Besonders bei Muslimen sei das praktisch: Vor Scham würden die sofort Ruhe geben.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Andreas Dressel, bezeichnete die Vorwürfe gestern als „äußerst schwerwiegend in einer Zeit, in der weltweit über die Behandlung von Häftlingen diskutiert wird“. Der Hamburger FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen kündigte an, die Vorkommnisse auch im Bundestagsauschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur Sprache zu bringen.

Gestern Nachmittag teilte die Justizbehörde mit, dass alle Fälle der vergangenen zehn Jahre, in denen es in Hamburger Justizvollzugsanstalten zu Fesselungen mit vorheriger Durchsuchung kam, „überprüft“ werden sollen. Nach Abschluss der Untersuchungen werde Staatsrat Carsten Lüdemann einen umfassenden Bericht vorlegen.