Sag zum Abschied leise Servus

Der Kurfürstendamm stirbt einmal mehr seinen letzten Tod und der alte Westen mit ihm. Das behaupten zumindest jene, die heute gegen die Schließung der Ku’damm-Bühnen auf die Straße gehen. Dabei ist die City-West lebendiger denn je. Ein Einwurf

von UWE RADA

Nun hat sich selbst Antje Vollmer ins Zeug geschmissen. „Westberlin – ein Absturz“ lautet die Schlagzeile ihres Trauerlieds auf den Kurfürstendamm in der Zeit. Dass die Trauerarbeit nicht nur den hinlänglich bekannten Verlusten gilt – Ku’damm-Kinos, Schiller Theater, Bahnhof Zoo, Komödie und Theater am Kurfürstendamm – ist das Verdienst der bekennenden Westberlinerin und ehemaligen Vizepräsidentin des Bundestags. Mitverantwortlich für den Absturz ist für Vollmer auch eine „eigenartige Krankheit in dieser Stadt“: jene Apathie der Westberliner, die ihre Teil- und Mauerstadt erst der Agonie überlassen. Oder, mit den Worten Vollmers: „nichts zu wagen und alles über sich ergehen zu lassen“.

Nun ist es so, dass heute durchaus einige Westberliner auf die Straße gehen (siehe Kasten). Dort, wo ihrer Ansicht nach alles sich konzentriert und – schlimmer noch – konzentriert wurde: Unter den Linden in Mitte. Dort treffen sie sich, um auf das Schicksal im anderen Teil der Stadt aufmerksam zu machen. Ihr Ziel: die Schließung der Komödie und des Theaters am Kurfürstendamm in letzter Minute abzuwenden. Ihr Adressat: die Politik und der Immobilienfonds der Deutschen Bank, der das Ku’damm-Karree, in dem sich die Boulevardbühnen befinden, abreißen und stattdessen eine Shopping-Mall errichten will.

Man mag sich die Augen reiben angesichts des Anlasses, den es gebraucht hat, die von Vollmer diagnostizierte „Berliner Krankheit“ zu überwinden. Ausgerechnet zwei Boulevardbühnen treiben die Westberliner auf die Barrikaden, als ob der alte Westen identisch sei mit Harald Juhnke und Günter Pfitzmann. Gab es da nicht schon gewichtigere Anlässe und größere Katastrophen? Und – stimmt die These vom Absturz West überhaupt? Oder wird hier einmal mehr auf jener Klaviatur des Alarmismus gespielt, auf der es der Westen seit der Wende zu einiger Meisterschaft gebracht hat? Seitdem nämlich galt am Ku’damm jeder Wandel als Vorbote des Abstiegs und damit der entscheidenden Niederlage gegen die Konkurrenz im Osten, die nun Mitte heißt: die Friedrichstraße.

Eine Ortsbegehung auf dem Kurfürstendamm besagt eindeutig – nein! Natürlich gibt es mehr Filialisten, als manchem lieb ist, aber wo gibt es die nicht? Natürlich ist der Ku’damm nicht mehr der Kinostandort der Westberliner Teilstadt – dafür sind andere dazugekommen. Natürlich ist es ärgerlich, wenn der Bahnhof Zoo zum Regionalbahnhof degradiert wird. Aber auch der Hauptbahnhof liegt nicht in fußläufiger Nähe zum Hackeschen Markt. Natürlich hat die Friedrichstraße ihre Luxusecken. Dem oberen Kurfürstendam aber wird sie nie und nimmer das Wasser reichen können. Vor allem aber: Der Ku’damm brummt wie eh und je. Nicht nur die Berliner bevölkern ihn, sondern auch die Touristen. So what?

Es ist etwas anderes, was die Fans des Ku’damms auf die Straße treibt. Etwas, was sich nicht messen lässt in Passantenfrequenz und Umsatz pro Quadratmeter. Was den Berliner Westen bewegt, ist nicht sein realer, sondern sein gefühlter Absturz. Und der hat viel mit der medialen Realität einer Stadt zu tun, in der alle Aufmerksamkeit dem Osten und der „neuen Mitte“ gilt. Die Schließung der Ku’damm-Bühnen ist da nur das Pünktchen auf dem i. Nach ihr wird von Kultur auf dem Ku’damm nämlich nicht einmal mehr in der B.Z. zu lesen sein.

Zu dieser medialen Realität gehört, das darf nicht vergessen werden, auch die Politik. Auf der einen Seite haben wir es zu tun mit einem Kultursenator, dessen Liebe erklärtermaßen den Einrichtungen im Osten gehört. Auf der anderen Seite steht ein Regierender Bürgermeister, der sich bei der Wahl der gemeinsamen Wohnung gegen den Lebensgefährten durchsetzen konnte. Klaus Wowereit und Jörn Kubicki leben nun am Kurfürstendamm, und so sieht auch das politische Programm des Regierenden aus: Finger weg vom Bahnhof Zoo! Finger weg von den Ku’damm-Bühnen! Einen Dritten im Bunde, einen, der nicht nur der Logik der Teilung verpflichtet ist, sondern der des Zusammenwachsens, gibt es in der Politik nicht.

In der Kulturszene sieht die Sache anders aus. Da haben sich – allem Krach zum Trotz – junge Theaterenthusiasten des Ku’damms angenommen und die Schaubühne zu neuem Leben erweckt. Was ist der Dank? Hohn und Spott seitens der selbst ernannten Hüter des Westens. „Die Schaubühne Peter Steins“, schreibt Antje Vollmer in ihrem Requiem, „kommt aus den kindlichen Rosenkriegen nicht heraus.“ Wer da aus etwas nicht herauskommt – dem goldenen Zeitalter eines Peter Stein nämlich –, ist die Autorin selbst. So jedenfalls kann aus der Trauerarbeit, bei allem Aufbäumen gegen die „Berliner Krankheit“, bestenfalls ein Trauermarsch werden.

Dabei ist die Schaubühne ein Beispiel, das zeigt, wie man die Trauerarbeit, die es nicht nur im Westen, sondern bekanntlich auch im Osten gibt, überwinden kann. Die Tanzcompagnie von Sasha Waltz zum Beispiel ist nicht nur am Ku’damm zu Hause. Sie war es auch in der zwischengenutzten Ruine des Palasts der Republik. Und Thomas Ostermeiers „Nora“ geht inzwischen als eine der erfolgreichsten Inszenierungen der jüngsten Vergangenheit um die ganze Welt. Warum da nicht ein bisschen mehr Selbstbewusstsein – am Ku’damm wie in Mitte?

Aber vielleicht geht es darum auch nicht. Vielleicht findet auf der Bühne des Westens tatsächlich ein „Rosenkrieg“ statt: Die einst umjubelte Diva erträgt es nicht, nicht mehr beachtet zu werden. So wirft sie die Rosen auf die Bühne und singt ein trauriges Lied zum Abschied.

Leider keines von der „Berliner Krankheit“.