Aspekte bayerischer Leitkultur

„Servus Kabul“ – Franz Xaver Kroetz lässt als Theaterregisseur am Bayerischen Staatsschauspiel den Islam und Niederbayern lustig ineinander krachen. Doch musste er angesichts des Karikaturenstreits das Stück wirklich derart entschärfen?

VON SABINE LEUCHT

Zartrosa Fäustlinge! Wie man sie Neugeborenen überstülpt, damit sie sich selbst nicht verletzen! Sich nicht zerkratzen mit ihren neugeborenen Krallen, wenn sie sich müde die neugeborenen Augen reiben. Im Theater im Haus der Kunst, einer Dependance des Bayerischen Staatsschauspiels, wo Franz Xaver Kroetz nach etlichen Jahren auf der Insel wieder gewohnt unfein ans Regiewerk geht, sind diese Handschuhe so fehl am Platz, dass sie einen zweiten Blick verdienen. Zumal Kroetz sie allen Schauspielern verpasst, in einem Stück, wo jeder jedem ans Eingemachte geht: Islam meets Niederbayern könnte der Untertitel heißen zu Jörg Grasers „Servus Kabul“. Aber im Grunde steht das im Titel ja schon drin.

Jusuf Mummadir, Ägypter mit wunderbar beckenbauerisch überfließendem Mundwerk, gerät als Heiratskandidat ins Straubinger Wirtshaus Zum Goldenen Hahn, wo Tochter Fanny sich viel von seinem langen Mercedes verspricht und Vater Brodlerwirt die antifeministischen Ableitungen aus dem Koran gleich begeistert an seiner Frau ausprobiert. Denn gehorsam soll es sein, das Weib, „gehorsam, treu und verschwiegen“ – so sieht es der Muslim, und so sieht man das auch in Niederbayern. Und wer nicht aus Überzeugung pariert, kriegt das Kuschen mit dem Teppichklopfer eingebläut.

Am Ende muss der Hoffnungsträger Jusuf, weil er sich als armer Schlucker erweist, für die „bayerische Leitkultur“ unter Tränen Schnaps tanken und Schweinefleisch hinunterwürgen, die türkische Braut des Gastwirtssohns wird mit kontraktwidrigem Holzbein auf der Fußgängerzone ausgesetzt, und Vater Brodler, der in einer Kabuler Kneipe die internationalen Truppen abfüllt, erscheint mit seinen drei afghanischen Frauen auf der geplatzten Hochzeit. Und weil eine von ihnen ohne Uhr und Not tickt (eine fehlerhafte Herzklappe!), ballert die GSG 9 alle drei über den Haufen.

So weit steht das im Stück von Jörg Graser. Und der, Filmregisseur und (Drehbuch-)Autor des Jahrgangs 1951, hat sich im Vorfeld der Münchner Uraufführung Sorgen gemacht, der grobe Kroetz könne diese Klischeeverwurstung in der Haut eines Volksstücks mit dem Kasperlknüppel noch platter klopfen. Und der Gedanke schien läppisch. Nun ist jedoch folgender Fall eingetreten: Kroetz, das politische Kreativitätsbündel der 70er, geistiger „Sohn“ der Fleißer, „Bruder“ von R. W. Fassbinder und Martin Sperr, hat eingedenk des Karikaturenstreits einige allzu religiös gefärbte Stellen gestrichen und Christian Lerch als großspurigen bayerischen Ägypter im Ansatz zum Sympathieträger werden lassen.

Und wo am Ende eigentlich Brodler und Brodlerin die schwere Kiste mit den drei toten Burka-Trägerinnen einfach in die Pampa stellen, zieht man bei Kroetz drei Babys draus hervor, angetan mit Kopfschmuck und Haartracht der Weltreligionen; und Jusuf hält auch noch ein Pappschild ins Publikum, auf dem handschriftlich „Buddhismus“ steht: „Die ganze Welt zu Gast in Straubing!“ – lauwarme Multikultisoße, die zur politisch unkorrekten Härte des Stücks passt wie Couscous zu Blutwurst.

Überhaupt, der Regisseur! Kroetz, dessen eigene Stücke seit Jahren auf keinem Spielplan mehr standen, hat kurz vor seinem 60. Geburtstag (25. Februar) das Familienexil Teneriffa und seine Familie gleich mit verlassen. Nun ist er wieder im Geschäft mit einem Band schon älterer Erzählungen („Blut und Bier. 15 ungewaschene Stories“) und zwei Einaktern über das dreckige Krepieren am Fernsehprogramm, die er im Sommer im Münchner Marstall selbst auf die Bühne bringen wird.

Die Regie von „Servus Kabul“, die Kroetz recht kurzfristig für den abgesprungenen Jörg Hube übernommen hat, ist in diesem Zusammenhang nicht mehr als ein erstes Hallosagen, ein Die-Finger-knacken-Lassen, bevor es richtig in die Startklötze geht. Ein Gaudi-sattes Glückauf, das schräg und auch ein wenig sinnlos in der Theaterlandschaft steht. Und verletzt werden soll hier bitteschön keiner! Darum tragen alle Schauspieler blitzsaubere, weiche Handschuhe. Darum wird jeder Gag mit greller Unschuldsmiene zu Tode exerziert, gehen Twin Towers aus Pappe in putzigen Rauchwölkchen unter. Und ist an allem – ein recht wohlfeiler Running Gag – das Städtchen Straubing schuld.

Im Cinemascope-Schlitz einer blutroten Kasperlbühne, über deren Brüstung gelegentlich schlappe Zweitbeine wie überlange Würste geworfen werden, wird weniger Kaperltheater gespielt als sich dahinter versteckt: Sorry vielmals, das ist alles nicht ernst gemeint! Wie schon der Autor will auch der Regisseur mit seinen Figuren eigentlich nichts zu schaffen haben. Die sind schon arg blöd, aber Ähnlichkeiten mit der Realität sind rein zufällig. Zufällig hätte man sich das alles auch gleich sparen können.