Großes Theater auf der Straße

Die Westberliner TheatergängerInnen proben den Aufstand: 1.000 Fans demonstrierten gegen das Ende zweier Ku’damm-Bühnen. Dabei sammeln einige ältere Menschen ganz neue Erfahrungen

von Waltraud Schwab

Manchmal dauert es etwas länger, Kritik auf den Punkt zu bringen: „Ist die Kultur der Deutschen Bank wirklich wichtig? Dann bleibt nur eins: Erklärt die Kündigung für null und nichtig!“ Ein bisschen schnittiger wäre besser gekommen. So hat der Zweizeiler auf dem Transparent der Theaterkämpen, die gestern für den Erhalt der Ku’damm-Theater auf die Straße gingen, nicht wirklich das Zeug zum geflügelten Wort. Aber Nachsicht ist angesagt. Denn wie sich rausstellt, waren unter den tausend DemonstrantInnen und den mehreren Dutzend Kleinhunden, die gegen den kulturellen Kahlschlag der Deutschen Bank am Ku’damm protestierten, etliche Neulinge am Werk.

Was den Ablauf der Demonstration hingegen betrifft, kann nur gesagt werden: „Chapeau!“ Auf dem Bebelplatz vor der Staatsoper Unter den Linden steht ein Wagen, der weiße Luftballons ausgibt. Die eher betagten DemonstrantInnen stellen sich diszipliniert in die Schlange, um sich welche abzuholen. Es wirkt, als schwenkten die geprüften Berliner wieder einmal weiße Fahnen.

Pünktlich wie im Theater ziehen die Leute los. Die Strecke von der Staatsoper zum Ku’damm ist nicht gerade unter „lockerer Spaziergang“ abzubuchen. Entsprechend verlangte die Regie nach flottem Schritt. Das fördert den Eindruck der Entschiedenheit. Auch die Route war günstig gewählt: Sie führte an etlichen Filialen der Deutschen Bank vorbei. Mit den mitgebrachten Requisiten wurde diese ausgepfiffen und ausgebuht.

So weit das Setting. Menschlicher ging es im Eins-zu-eins-Gespräch zu. ’tschuldigung, was bewegt Sie dazu, zu demonstrieren? „Wir können nicht zulassen, dass die City-West-Kultur platt gemacht wird“, antwortet der ältere Herr, der Unterschriften sammelt. Sonst habe er es mit dem Demonstrieren ja nicht so, aber das gehe zu weit. Ein anderer „Urberliner“, früher Versicherungsvertreter: „Es berührt mich sehr tief. Das ist eine Herzensangelegenheit. Ich bin 40 Jahre im Theaterclub.“ Auch ihm sei das Demonstrieren nicht so in Fleisch und Blut übergegangen, aber dass man diese Theaterdenkmäler jetzt abreißen wolle zugunsten eines Einkaufszentrums, das sei eine Schande.

„Es geht nur noch um Rendite, Geld, Rendite, Geld. Immer kleiner wird die Theaterwelt“, mischt sich eine Frau ein. Auf ihrer Handtasche hat sie einen Aufkleber „Rettet die Ku’damm-Bühnen“. Sie sei extra aus München gekommen, um die Menschen hier zu unterstützen. Wie sich herausstellt, ist sie die Leiterin der dortigen Komödie im Bayrischen Hof. Ihr Eindruck: Die Boulevardtheater haben wieder Zulauf. „Man möchte sich was Leichtes gönnen, wo es überall sonst nur Krieg und Mord und Unglücke gibt.“

Die Theaterfreunde wirken entschlossen. Die prominente Unterstützung tut gut. Dirk Bach, Komiker im Bärenpelz, Antje Vollmer, Exbundestagsvizepräsidentin mit Handtasche, Friedbert Pflüger, Wowereit-Herausforderer der CDU in offenem Mantel, waren da. Auch Ilja Richter mit Käppi. Er diktiert den Satz in den Block: „Wer Theater schließt, ist der Kunst gegenüber nicht gut gesinnt. Wer sie abreißt, ist Gesindel, da hilft auch kein Maßanzug.“ Ja, er meine Gesindel und nicht Gesinndel. Um ein Wortspiel handele es sich nicht. Er wolle nicht mit sprachlichen Neuerfindungen in den Duden eingehen. Aber das mit dem Maßanzug, das sei wichtig.

Dass die Geschichte am Ende gut ausgehen wird, das glauben die um ihre Arbeitsplätze fürchtenden ebenfalls anwesenden BühnenarbeiterInnen weniger. Man wird abreißen und im Neubau so einen Kasten installieren. „’ne Puppenbühne, keine Produktionsstätte wie jetzt“, sagt einer. „Die wollen ihre Flächen doch ganz anders vermarkten.“ Das klinge pessimistisch. „Nein“, meint er, „wenn es überhaupt gelingt, eine Spielstätte im Ku’damm-Karree zu erhalten, ist das schon ein Erfolg.“