Polynesien verlangt Antworten von Paris

40 Jahre nach den ersten französischen Atomtests präsentiert der Inselstaat Studie über Opfer und Folgen

PARIS taz ■ Vierzig Jahre. So viel Zeit musste vergehen, bis erstmals eine polynesische Regionalregierung eine Untersuchung über die Folgen der französischen Atomtests in Auftrag gab. Gestern stellte die Kommission das 400-Seiten-Konvolut im französischen Parlament vor. „Wir haben mehr Fragen als Antworten“, erklärte Kommissionspräsidentin Unutea Hirshon: „Und antworten muss jetzt der französische Staat.“

Die Kommission hatte sechs Monate lang ÄrztInnen, GeologInnen und andere ExpertInnen gehört, besuchte idyllische Atolle, untersuchte Betonreste und Wasserproben, kramte Geheimdokumente aus den Archiven und prallte immer wieder am „Verteidigungsgeheimnis“ ab, das wie ein Bleideckel über den französischen Atomtests liegt.

Der französische Präsident Charles de Gaulle hatte nach der algerischen Unabhängigkeit verfügt, die Atomtests von Nordafrika in den Pazifik zu verlagern. Bei ihren Gesprächen fand die Kommission unter anderem heraus, dass de Gaulle persönlich den wichtigsten Inselrepräsentanten drohte, im Fall von Widerstand werde er das damals von Frankreich verwaltete Polynesien unter Militärverwaltung stellen. Und immer wieder stellte die Kommission fest, dass die französischen Militärbehörden von Anfang an wussten, welchen Gefahren sie die Inselbevölkerung aussetzte.

Am Tag des ersten Atomtestes, dem 2. Juli 1966, fand auf dem mehrere hundert Kilometer vom Testort entfernten Atoll Mangataufa ein Fest für die aus Paris angereiste Militärmission statt. „Die Gastfreundschaft gehört zu unseren Traditionen“, erklärte gestern im Saal 6242 des Pariser Parlamentes der polynesische Politiker Jacky Bryant. Doch die Militärmissionare, darunter auch ihr Übersetzer, der spätere langjährige polynesische Spitzenpolitiker Gaston Flosse, reisten noch vor Beginn des Festes überstürzt wieder ab: Sie hatten von der radioaktiven Wolke erfahren, die auf Mangataufa zuschwebte. – Die Inselbewohner feierten allein im radioaktiven Fallout.

Insgesamt haben von 1966 bis 1974 exakt 46 Atomtests in Polynesien stattgefunden. Bis heute gibt es keine öffentlich zugängliche systematische Erfassung der medizinischen Folgen – und keine systematische Anerkennung von Strahlenkrankheiten, wie es die USA praktizieren. Bei einer eigenen Befragung hat der Verein für militärische Atomtestveteranen „Aven“ festgestellt, dass 80 Prozent seiner Mitglieder krank sind, viele davon leiden an Strahlenkrankheiten. Die französischen Behörden halten dem entgegen, solche Angaben seien „nicht wissenschaftlich“. Doch eigene Zahlen legen sie nicht vor.

Heute sind auf den Atollen die meisten Spuren der Atomtestzeit verwischt. Die militärischen Gebäude sind abgerissen, Rohrleitungen sind entfernt. Wohin sie entsorgt wurden, ist bis heute unbekannt. Trotzdem fanden die Experten vereinzelt hoch verstrahlte Spuren.

„Wir sind keine Bittsteller mehr“, sagte gestern Bryant in der französischen Hauptstadt: „Wir wollen unsere Beziehung mit Paris auf eine andere Basis stellen. Mit den Atomtests kam sehr viel leichtes Geld auf unsere Inseln. Heute sind viele von uns krank. Unsere Wirtschaft ist völlig von Importen abhängig. Das möchten wir jetzt ändern. Deswegen sind wir hier.“ D. HAHN

vollständiger Bericht: www.obsarm.org