Drogenpolitik mit Todesfolge

In NRW ist erstmals seit acht Jahren die Zahl der Drogentoten gestiegen. Zufall, sagen Politiker. Durch Kürzungen der Drogenarbeit wird es mehr Hepatitis-Tote geben, fürchten Drogenhelfer

VON MIRIAM BUNJES

Drogenstatistiken verschweigen viel und sagen wenig: 350 Männer und Frauen sollen im vergangenen Jahr in NRW an ihrem Drogenkonsum gestorben sein, bei den meisten davon war Heroin im Spiel. Das sind acht Prozent mehr Drogentote als 2004 und das erste Mal seit 1998, dass die Zahl in NRW steigt. „Das ist Zufall“, sagt Wolfgang Beus, Sprecher des NRW-Innenministers Ingo Wolf (FDP). „Vermutlich sind im vergangenen Jahr besonders viele Langzeit-Abhängige gestorben.“ Oder das Heroin war von besonders schlechte Qualität. „Es gibt immer wieder unerklärliche Schwankungen in der Drogenstatistik“, sagt Beus. Und auch im CDU-geführten Gesundheitsministerium sieht niemand einen Anstiegstrend. „Wir beobachten das natürlich“, sagt Sprecher Ulrich Lensing.

An den Folgen ihres Rauschgift-Konsums gestorben sind jedoch viel mehr Menschen in Nordrhein-Westfalen als die Statistik notiert: „Die hunderten Drogenabhängigen, die an Hepatitis C, Herzversagen, Krebs oder Aids gestorben sind, erscheinen nicht in der Statistik“, sagt Wolfgang Schneider, Leiter des Münsteraner Instituts für qualitative Drogenforschung, akzeptierende Drogenarbeit und rationale Drogenpolitik (Indro). „Obwohl auch sie an ihrem Drogenmissbrauch gestorben sind.“

Und diese ungenannten Toten werden mehr, glaubt der Sozialarbeiter. „Die Angebote für langjährige und kranke Drogenabhängige werden vom Land gerade radikal zurückgefahren“, sagt Schneider. „Wenn Kontaktläden und Fixerstuben seltener öffnen, werden auf der Straße wieder mehr Spritzbestecke getauscht.“ Und dadurch würden sich Krankheiten wie Hepatitis C und auch der Aids-Erreger wieder schneller ausbreiten. Es gebe eben Süchtige, die nur Angebote wie Spritzenautomaten und Fixerstuben in Anspruch nehmen wollten. „Sie glauben nicht mehr an erfolgreiche Therapien“, sagt Schneider. „Ihr Leben kann aber durch kostenlose Spritzen und Desinfektionsmittel ungefährlicher gemacht werden.“

Vor allem an dieser akzeptierenden Drogenarbeit spart jedoch die schwarz-gelbe Landesregierung. Für präventive Angebote wie Cafés und Kontakträume sind im aktuellen Haushaltsentwurf zwanzig Prozent weniger Landesförderung vorgesehen. Das landesweite Selbsthilfe-Netzwerk von Junkies, Ex-Junkies und Substituierten (JES) erhält künftig gar kein Geld mehr. Das gemeinsam mit der Aidshilfe organisierte Projekt, das hundert Spritzenautomaten in NRW versorgt, wird daher wahrscheinlich eingestellt. „Das hat fatale Folgen für alle Drogensüchtigen, die intravenös Drogen gebrauchen“, sagt Guido Schlimbach, Sprecher der Aidshilfe NRW.

„Wir sparen alle Spezialitäten ein“, sagt Ulrich Lensing vom Gesundheitsministerium. „Die grundlegenden Angebote wie Drogenberatungsstellen und Aufklärungskampagnen müssen in Zukunft für alle reichen.“ Handlungsbedarf durch den gemessenen Anstieg der Drogentoten sieht Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) nicht: „Auch wenn es uns nicht gelingen wird, Drogentodesfälle ganz zu vermeiden, werden wir auch weiterhin dafür Sorge tragen, dass die notwendigen Präventions- und Hilfeangebote zur Verfügung stehen“, sagte Laumann auf einer Pressekonferenz.

Höhere Priorität hat für die Landesregierung ein anderer Aspekt der Drogenbekämpfung: Die grenzübergreifende Polizeifahndung soll in Nordrhein-Westfalen, den Niederlanden und Belgien weiter ausgebaut werden. „Unser Ziel ist, den Druck auf reisende Rauschgifthändler und -käufer im Grenzraum zu erhöhen“, sagt Innenminister Wolf. Deshalb planten die niederländische und die NRW-Regierung derzeit eine engere Zusammenarbeit. Seit November arbeiten im Euroregionalen polizeilichen Informations- und Kooperationszentrum im niederländischen Heerlen in der Nähe von Aachen bereits belgische, deutsche und niederländische PolizistInnen und StaatsanwältInnen zusammen. Die Niederländer planen ein weiteres spezielles Fahndungsteam für den Grenzbereich.