„Die Vogelgrippe ist kein Stornierungsgrund“

Zwischen den Fernsehbildern und der Situation vor Ort klafft ein riesiger Unterschied, sagt der Chef der Rügener Tourismuszentrale

taz: Herr Kiesby, wie wirkt sich die Vogelgrippe auf den Tourismus auf Rügen aus?

Raymond Kiesbye: Wir haben eine ganze Reihe von Anfragen von besorgten Gästen, ob sie gefahrlos auf Rügen Urlaub machen können. In Einzelfällen gibt es Stornierungen. Allerdings ist es Gott sei Dank keine Stornierungswelle. Wenn wir mit den Leuten persönlich reden, können wir ihnen in aller Regel ihre Ängste nehmen.

Wie denn?

Dadurch, dass wir klarstellen, worum es sich handelt: dass man sich nicht ansteckt, wenn man spazieren geht. Dass man im Sommer problemlos baden kann. Dass Bewegungsfreiheit auf der Insel herrscht. Durch die Fernsehbilder und den Begriff „Sperrzone“ wird ja suggeriert, dass man sich nicht bewegen kann.

Seit Sonntagabend ist aber die gesamte Insel zur Schutzzone erklärt worden.

Das sind veterinärmedizinische Vorsichtsmaßnahmen. Es ist ja nicht so, dass großflächig Gebiete gesperrt sind, in die man nicht hineindarf. Aber leider glauben viele Leute, dass sie ihre Ferienwohnung nicht mehr verlassen dürfen, wenn sie auf Rügen sind.

Laufen denn bei der Tourismuszentrale die Telefone heiß?

Das Bedürfnis nach Informationen ist schon sehr groß, aber die Telefone laufen nicht heiß. Die Anfragen nach Urlaubsprospekten sind genauso viele wie die Anfragen nach den Gefahren des Urlaubs auf Rügen.

Gilt die Vogelgrippe als Stornierungsgrund?

Nein. Rein rechtlich ist das kein Stornierungsgrund. Da müsste wesentlich Drastischeres passieren, Gefahr für Leib und Leben beispielsweise. Aber die Hoteliers sind gehalten, aus Kulanz kostenfrei zu stornieren.

Was halten Sie von den Sicherheitsmaßnahmen auf der Insel?

Der Großteil davon ist sicherlich sinnvoll. Aber die Art der Umsetzung erinnert bisweilen an Aktionismus. Müssen die Soldaten am Rügendamm im Vollschutz arbeiten wie nach einem Atombombenangriff? Müssen fünfzig Polizisten anrücken, wenn auf einem Bauernhof in einem menschenleeren Gebiet eine Sperrzone eingerichtet wird?

Befürchten Sie einen anhaltenden Imageschaden durch die Vogelgrippe?

Ich glaube, dass das relativ schnell wieder aus dem Gedächtnis der Gäste verschwinden wird. Wir wissen von Katastrophen in Touristengebieten, dass das Gedächtnis der Urlauber chronisch schlecht ist. Nach manchmal erstaunlich kurzer Zeit kann man Gott sei Dank wieder zur Tagesordnung übergehen.

Rügen ist auf den Tourismus angewiesen. Da liegt doch der Verdacht nahe, dass Sie die Auswirkungen der Vogelgrippe verharmlosen wollen.

Wenn man die Fernsehbilder sieht und auf Rügen selbst ist, ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Eine Verharmlosung ist es sicher nicht. Viel eher eine realistische Einschätzung, dass man hier mit der Vogelgrippe fast gar nicht in Berührung kommt.

Was erwarten Sie für Ostern, den klassischen Saisonstart?

Das hängt davon ab, wie sich die Tierseuche weiter entwickelt. Bislang ist für Ostern nichts Drastisches erkennbar. Allerdings ist die Nachfrage zurückhaltend. Wir hoffen natürlich, dass sich in den Wochen bis dahin die Situation wieder beruhigt und man erkennt, dass die Gefährdungssituation auf Rügen wirklich minimal ist. Es wäre schon ein Schlag ins Kontor, wenn das Ostergeschäft schlecht läuft, wie wir es letztes Jahr schon hatten. Da gab es Küstenabbrüche an den Kreidefelsen. INTERVIEW: WAHN