Alle wollen funktionieren

Das Geld und das Öl, die Macht und der Tod: In Stephen Gaghans Politthriller „Syriana“ gibt George Clooney einen alternden Agenten auf Tour durch die Intrigen in Nahost. Den Film interessiert aber nicht der Ausnahmezustand, sondern die Routine

VON HARALD FRICKE

Eine Party in Teheran. Es gibt reichlich Alkohol, leicht bekleidete Frauen wackeln zu HipHop wie auf MTV. Wenig später hat Bob Barnes (George Clooney) dem gastgebenden Waffendealer zwei Stinger-Raketen verkauft, noch etwas später wird der junge Mann mit seinem Fang in die Luft fliegen. Damit ist der Auftrag von Barnes erledigt, so will es die Geheimdienstpraxis der USA. Nur die zweite Rakete macht Sorgen, denn die hat bereits ein ägyptischer Terrorkämpfer an sich genommen.

Der gezielte Mord, mit dem Regisseur Stephen Gaghan in „Syriana“ seine Tour durch die politischen Intrigen im Nahen Osten und deren Auswirkungen auf das internationale Ölgeschäft beginnt, könnte sich tatsächlich zugetragen haben. Wenn nicht in Teheran, dann in Beirut oder Bagdad, irgendwann in den Achtziger-, Neunzigerjahren. Schließlich beruht der Film auf dem Buch „Der Niedergang der CIA“, das Robert Baer über seine Zeit als Undercover-Agent geschrieben hat. 21 Jahre im Einsatz zwischen Milizionären, Waffenhändlern und den Führern der Hisbollah.

Doch das amerikanische Engagement in der arabischen Welt ist nur ein Strang unter vielen, den Gaghan ganz dem schauspielerischen Talent von Clooney überlässt. Etwas übergewichtig, stets unscheinbar, mit grauem Vollbart und ausrasierten Geheimratsecken hat er sich den alternden Agenten physisch einverleibt. Man kennt dieses Dringlichkeits-Acting von Robert de Niro oder Harvey Keitel, überhaupt hat man bei „Syriana“ oft den Eindruck, in einer dieser cool-vertrackten Scorsese-Szenerien gelandet zu sein. Nur dass die Mafia nicht in New York unterwegs ist, sondern als Formation aus Anwälten, Brokern und CIA international operiert, ein Kartell der Globalisierung.

Das Geld und das Öl, die Macht und der Tod: Gaghan spannt epische Bögen, erzählt aber aus der alltäglichen Warte von Individuen. Da ist die Geschichte von Bennett Holiday (Jeffrey Wright), der die Fusion zweier Ölfirmen prüfen soll. Schnell findet der afroamerikanische Anwalt heraus, dass die Übernahme nationale Interessen berührt und dass er sie deshalb keinesfalls kippen darf. Zur Belohnung wird er mit dem Vorstandschef in Texas Zebras jagen, aber seine Ideale hat er verraten. Alles geschieht unglaublich behutsam, die Smartness ist mit den Neoliberalen: Kaum merklich verwandelt sich Wright vom Juristen aus der alten Bürgerrechtsschule in einen Liebesdiener des militärisch-industriellen Komplexes.

Als Gegenpol zum ökonomischen Räderwerk Amerikas baut Gaghan den Prinzen Nasir (Alexander Siddig) auf, der demokratische Reformen in seinem Land will, aber an den familiären Clanstrukturen zugrunde geht. Denn die Privilegien des Reichtums, so der Tenor von „Syriana“, wirken als Instrument der Kontrolle letztlich immer auch auf die Herrscher zurück. Besitzstand muss gesichert werden, egal ob am Golf oder in Washington.

Dabei ist das Öl die Metapher auf einen Kapitalismus, der über jede nationale Grenze hinweg im Fluss bleibt. Diesem Fluss wiederum ordnet sich die Erzähllogik des Films konsequent unter. Ständig wechselt der Schauplatz: vom Bohrturm ins Anwaltsbüro, an die Börse und weiter auf das königliche Anwesen in der Wüste. Wie sehr eine Handlung mit solchen genau am Schnitttisch montierten Parallelbewegungen an Fahrt gewinnen kann, hat Gaghan bei Steven Soderbergh gelernt, für den er das Drehbuch zu „Traffic“ schrieb.

Auch in „Syriana“ agiert jeder in seinem Wunsch nach privatem Fortkommen durchaus menschlich – und befördert damit zugleich den Showdown. Das gilt selbst für die illegalen Arbeiter auf den saudischen Ölfeldern, die ihre Rettung in der Religion suchen und doch nur zu billig angeworbenen Selbstmordattentätern werden. Doch der Film folgt dieser Tragik keineswegs atemlos aufs Finale gierend, sondern mit klarem Blick für Details. Manchmal reicht ein Wort, etwa jenes geübt souveräne „Danke schön, Rebecca“, mit dem sich Wirtschaftsanalyst Bryan Woodman (Matt Damon) aus einer Fernsehschaltung verabschiedet; und schon spürt man den unbedingten Willen zum Funktionieren, der die Beteiligten antreibt. Das macht die Spannkraft von „Syriana“ aus: Gaghan bildet Realität nicht als hysterisch aufgeladenen Ausnahmezustand ab, eher als eine sich allmählich zum Desaster hochschraubende Routine.

„Syriana“. Regie: Stephen Gaghan. Mit George Clooney, Matt Damon u. a. USA 2005, 126 Min.