Fiepende Frösche, bolzende Bassdrum

Ein Suhrkamp-Band und das neue Heft von „Texte zur Kunst“ erforschen, wie Kunst und Musik zusammengehen

„Wenn ich jetzt ankomme und sage: Vergiss das alles, was ich dir beim letzten Mal erzählt habe, richtig geil sind die Froschaufnahmen vom Klaus, dann sagt der: Jan, du musst aufpassen, dass du nicht den Anschluss verlierst und in der Klapse landest.“ Jan St. Werner scheint selbst zu bemerken, dass seine Dialoge mit Klaus Sander mitunter ins Absurde abdriften. Auf ihrer gemeinsamen Suche nach wahrer Klangkunst im Müllhaufen vorgefertigter Computermusik wird der Diskussionsraum plötzlich ganz vom Fiepen der Whistling Frogs auf Barbados ausgefüllt. Momente wie dieser sind das Erhellende und Unterhaltsame an Sanders und Werners Buch „Vorgemischte Welt“, in dem die beiden über Maschinenmusik und deren scheinbar immanente Uninspiriertheit sprechen, über Musikjournalismus, Marktzwänge sowie Diskursklumpen und dabei nach Kriterien für die objektive Messbarkeit der Qualität von Musik forschen.

Für die theoretische Legitimation der etwas unbedarften und ein wenig eitlen Textform darf einer der geladenen Gesprächsteilnehmer herhalten. Klaus Theweleit gibt zu Protokoll, dass das Schreiben über Musik seinen Gegenstand quasi zwangsläufig verfehlt und Sprechen die einzige Möglichkeit sei, Gehörtes nachzuvollziehen. Die so gewonnenen Ergebnisse haben laut Theweleit selbst in transkribierter Form noch Bestand. Zugegeben, der Freestyle des Dialogs sorgt für Charme und mitunter wahre Geistesblitze wie etwa die Wortschöpfungen „Eintrick-Musik“ oder „Presetauswähler des Jahres“, wird aber zum Problem, wenn Sander und Werner immer wieder um dieselben Binsenweisheiten kreisen und, ein wenig zu vorhersehbar, Gut (Messiaen, Oval) gegen Böse (Minimal Techno, Daft Punk) stellen.

Im Jahr 2003, als die letzten dieser Gesprächssitzungen stattfanden, war das Clicks-&-Cuts-Paradigma, gegen das hier hauptsächlich gewettert wird, bereits abgelöst. Auch wenn die Autoren also gegen die Vergangenheit anreden, behalten viele Argumente auch für einen Großteil aktueller Tanzmusik ihre Gültigkeit: Austauschbarkeit, Belanglosigkeit, tief gestapelte Ansprüche sowohl bei Produktion als auch Konsum. Doch leider ist trotz dieser spannenden Einsichten ein schiefes Endergebnis programmiert, wenn eine an funktionalen Kriterien ausgerichtete Gebrauchsmusik völlig kontextfrei mit hehrem Kunstdenken konfrontiert wird. Das Fazit der Plauderei ist ebenso banal wie allgemein gültig: Es wird halt viel Mist produziert. Das stimmt immer und überall, und die Antwort auf diese Erkenntnis ist genauso simpel: selber besser machen – was Klaus Sander mit seinem Audioverlag supposé auch tut, und Jan St. Werner mit der Band Mouse On Mars und weiteren Projekten sowieso. Gerade deshalb hallt der Ton von „Vorgemischte Welt“, dieses von den zwei alten Herren aus der Muppet Show gesamplete Gezeter, so unangenehm nach.

Der Fehler von Sander und Werner ist, dass sie ihre eigene Sprechposition nicht auch als eine vorgemischte akzeptieren wollen. Ihr Dialog wähnt sich voraussetzungslos, betreibt dabei aber eine fragwürdige Entkoppelung der Musik von ihren jeweiligen Kontexten. Die aktuelle Ausgabe der Texte zur Kunst, die just ihre Jubiläumsnummer 60 zum 15. Geburtstag unter das Motto „Sounds“ setzen, geht im selben Spannungsfeld differenzierter vor. Nicht zuletzt aufgrund der Praxis zahlreicher AkteurInnen werden Kunst und Musik zusammengedacht und nicht gegeneinander aufgerechnet, denn der „Sound“ des aktuellen Kunstbetriebs, durchaus auch als Metapher für ein soziales Klima zu lesen, wird von multimedialem Arbeiten bestimmt. Was mal, mit all seinen Ambivalenzen, Crossover hieß, ist als Begriff schon überholt, da die zu überschreitenden Grenzen zumindest teilweise zum Verschwinden gebracht wurden. Der Kunst-Sound funktioniert so als ein erweiterter Raum: für Bedeutung, Erfahrung, Austausch.

Ausgerechnet in einer Gesprächssituation, nämlich im Interview mit Aram Lintzel, findet die Künstlerin Michaela Melián die Antwort auf die Leerstelle bei Sander und Werner. Sie erklärt, wie sie sich für ihre Installationen von Clubmusik inspirieren lässt: „Das ist ja das, was Clubmusik, Filmmusik oder Muzak leisten: dass ein anderes Raumgefühl entsteht.“ Melián weiß, dass auch eine stumpf geradeaus bolzende Preset-Bassdrum als schöpferischer Akt wirken kann. Sie schafft Raum, definiert soziale Zusammenhänge. Und die pfeifenden Frösche vom Klaus machen natürlich nichts anderes. ARNO RAFFEINER

Klaus Sander und Jan St. Werner: „Vorgemischte Welt“. Edition Suhrkamp, Frankfurt/ M. 2005, 232 Seiten, 12 €Ľ„Sounds“. Texte zur Kunst, Heft 60, Dezember 2005, 254 Seiten, 14 €